Wiesbadener Schulträger abhängig von Apple

gemeinsame Presseerklärung der GEW Wiesbaden-Rheingau und des Stadtelternbeirat der Landeshauptstadt Wiesbaden

Der Schulträger der Stadt Wiesbaden hat im Rahmen eines Projekts zur Ausstattung aller Schüler*innen der Klasse 5 die Beschaffung von iPads ausgeschrieben. Nachdem sich kein Anbieter auf diese Ausschreibung beworben hat, hat die Stadt sie kurz vor Ende der Ausschreibungsfrist vom Markt genommen. Nun soll es eine neue Ausschreibung geben, so dass das Projekt dann erst im nächsten Schuljahr startet. Zur Chronologie des bisherigen Projektverlaufs siehe www.steb_wiesbaden.de/11-ausstattung-der-sus-ab-der-5-klasse/.

In diesem Prozess wird eines – wie erwartet (siehe hierzu die aktuelle Ausgabe der Wiesbadener Bildungszeitung: gew-wiesbaden.de/fileadmin/user_upload/presse_veroeffentl/wlz/WBZ_2- 23.pdf) – überdeutlich: Die Stadt Wiesbaden macht sich und ist inzwischen vollständig abhängig vom Konzern Apple und dessen Produkten – darüber schein es so, dass die Mitsprache der Belange und Bedürfnisse der Zielgruppen (Lehrkräfte, Eltern, Schülerschaft) aus dem Fokus gerät.

Es ist offensichtlich nicht mehr der Schulträger, sind nicht die Schulen, nicht die Lehrkräfte/Pädagogen oder die Eltern, die hier entscheiden, welche Geräte mit welchen Funktionalitäten den Schüler*innen zum Lernen zur Verfügung gestellt werden. Es ist das Bildungsmarketing des Herstellers, dem es gelingt, die Bedingungen der digitalen Geräteinfrastruktur in Wiesbadener Schulen zu diktieren.

Und auch, was zunächst nach einer offenen, unabhängigen Ausschreibung aussieht, ist zu einem gewissen Anteil eher ein seitens des Konzerns dirigiertes Schauspiel. Der Weiterverkauf im großen, gewerblichen Stil, die Reparatur und der Service für die Apple-Geräte wird vom Konzern unter anderem über zertifizierte Händler gelenkt. So pflegt der Konzern ein Netzwerk von „Apple Authorised Education Specialists“, für die Beratung gibt es „Apple Consultants Network“, neben den eigenen Verkaufsgeschäften gibt es „autorisierte Apple Service Provider“ usw. Über die Zertifizierung der Anbieter oder deren Aberkennung entscheidet allein der Konzern.

Auf Hinweis von Anbietern soll nun das seitens des Konzerns beworbene, aktuellere Modell beschafft werden. Und genau das ist die Strategie des Konzerns, der es mit strategischem Marketing und ökonomischer/kommerzieller Obsoleszenz (eigene Geräte werden vom Hersteller selbst aus kommerziellen Gründen unattraktiv gemacht) versteht, die Kunden stets in die für ihn gewinnstärksten Produktkategorien zu drängen. Wenn es also nun gelingt, einem Schulträger im Rahmen einer gescheiterten Ausschreibung und anschließenden „Markterkundung“ mitzuteilen, dass seine produktexklusive Entscheidung für ein Gerät kommerziell für den Konzern und dessen Reseller im Bildungsmarkt nicht mehr „attraktiv“ genug sei und der Schulträger darauf in der Form reagiert, die Wünsche/Vorgaben einfach zu Gunsten des Konzerns umzusetzen und damit dem Bildungsmarketing zu folgen, wird deutlich, in welcher Abhängigkeit und offenbar seitens des Schulträgers gefühlter Alternativlosigkeit man sich hier bereits befindet.

Nachdem jetzt die Beschaffung neu aufgesetzt werden muss, sollte man zudem die Chance nutzen, um bisher leider nicht berücksichtigte Aspekte zu klären:

1. Ist finanziell überhaupt genug Spielraum bei der Stadt, um das Projekt mittelfristig zu finanzieren? Wenn nur ein Jahrgang die Geräte bekommt, verursacht das nur administrative Kosten, führt zu Ungerechtigkeiten in der Schule und wird keine Schule dazu motivieren, ein sinnvolles Digitalisierungs-/Medienkonzept nur für einen Jahrgang aufzustellen und die Geräte in sinnvoller Weise in die Unterrichtsgestaltung einzubeziehen.

2. Fraglich ist auch, wie die Mittelverwendung aussieht, wenn sich nicht alle Schulen an diesem kritikwürdigen und derart exklusiv geführten Projekt beteiligen und damit nur ein Teil der Schuler*innenschaft seitens des Schulträgers eine digitale Ausstattung erhalten wird.

3. Nach all der begründeten Kritik von Eltern und Lehrkräften sollte man vor einer neuen Ausschreibung von Seiten der Stadt korrigieren, dass die Geräte eben nicht für die Fünftklässer sind, sondern für höhere Jahrgangsstufen. Dies dann auch verbunden mit einer neuen, pädagogischen Betrachtung der Gerätebeschaffung.

Wir raten dringend davon ab, ein verbindliche, produktexklusive Ausstattung der Schulen auf geschlossenen und von Herstellern kontrollierten Strukturen aufzubauen. Wir setzen uns für eine unabhängige Infrastruktur nach pädagogischen und didaktischen Maximen an staatlichen Schulen ein. Es wird erwartet, dass der Schulträger nach pädagogischen und didaktischen Kriterien zusammen mit den Lehrkräften, Eltern und Schülern Anforderungen an die digitale Infrastruktur erarbeitet und auf dieser Grundlage offene Ausschreibungen zur passenden Produktauswahl durchführt. Es braucht eine transparente, perspektivische Strategie und Technikfolgenabschätzung, die derzeit vollständig fehlt. Der bisherige Verlauf des gescheiterten Beschaffungsversuchs des Schulträgers sollte ein Bewusstsein schaffendes Signal und eine Chance sein, sich aus der selbst ohne Not herbeigeführten und nun so offensichtlich werdenden Abhängigkeit zu lösen.