Warum sollte ich in die GEW eintreten?

Überlegungen für LiV

Gewerkschaften scheinen ein Relikt aus einer vergangen Zeit. Damals glaubten Menschen noch daran, gemeinsam etwas erreichen, ihre Welt gestalten zu können. Heute, im Zuge der Individualisierungsideologie, ist jeder Einzelkämpfer bester Wahrer seiner eigenen Interessen. Oder?

Ach, Frau Meyer, könnten Sie sich vorstellen, in ihre Klasse noch zwei weitere Kinder aufzunehmen? Ich weiß, eigentlich müsste die Klasse geteilt werden; aber Sie wissen ja, wie eng die Kapazitäten sind. Ja, Frau Meyer weiß es! Will man nun diejenige sein, die den zwei neuen Kindern an ihrer Schule die Aufnahme schwer macht? Möchte man sich mit dem Schulleiter auseinandersetzen, mit dem man morgen vielleicht über eine Fortbildung, eine Freistellung in der jeweils ersten Stunde am Montag oder Sonstiges sprechen möchte? Frau Meyer wird akzeptieren. Insbesondere, wenn sie gerade neu an der Schule ist und ihre Verbeamtung noch aussteht. Akzeptiert sie ein Berufsleben lang die Zusatzbelastungen und die (notwendigen) Ausnahmen von den Regeln, wird die Freude am Beruf abnehmen, die Zuwendung zum Kind zurückgehen, die Kreativität verkümmern.

Es gibt eine Alternative.

Am Anfang steht das Eingeständnis, dass es nur gemeinsam geht. Frau Meyer könnte zum Personalrat gehen; dieser könnte das Problem der zu großen Klassen mit der Schulleitung erörtern und eine allge- meinverbindliche Lösung finden. Geht klar, aber auch ohne Gewerkschaft. Bedingt: Der Personalrat kann auch nur auf der Grundlage von zuvor verbindlich geschaffenen Regeln arbeiten. Dazu gehören alle Gesetze und Verordnungen und – zentral – das Hessische Personalvertretungsgesetz. Spätestens hier kommen die Gewerkschaften ins Spiel, die das organisatorische Rückgrat für viele Auseinandersetzungen und die Durchsetzung von Interessen bilden. Sie sind aber auch schon vor Ort: sie stellen oft die Aktiven in den Personalräten der Studienseminare, der Schulen, des jeweiligen staatlichen Schulamtes sowie in den Bildungsministerien.

Selbstständige Schule, Schulen mit eigenem Profil, Schulen in Konkurrenz – das sind zentrale Stichworte unserer Zeit. Entkleidet mensch diese Begriffe, werden drei Dinge besonders klar. Erstens: der Schulleiter/die Schulleiterin wird in der Führungsposition gestärkt; zweitens: er/sie hat (mit kaum vorhandenen zusätzlichen) Mitteln eine Schule zu kreieren, die durch ihre besonderen Angebote überzeugt; drittens: ein Kollegium, das all das Zusätzliche mit Bordmitteln (heißt aus eigener Kraft) schultern muss. Um diese Entwicklung kritisch, aktiv und selbstbewusst begleiten und den Bedürfnissen von Schülerinnen, Schülern, Kolleginnen und Kollegen Geltung verschaffen zu können, braucht es Menschen, die sich ihrer Interessen bewusst sind und diese auch durchsetzen können. Allerdings nicht als Einzelkämpfer, sondern zusammen – eben in der GEWerkschaft. Und hier greift die Individualisierungsideologie ein zweites Mal unbarmherzig durch: „Die Gewerkschaften bringen ja nichts. Mein Personalrat organisiert mal wieder nur Betriebsausflüge.“ Ja vielleicht. Aber warum stimmt dies in manchen Fällen? Weil immer mehr Menschen glauben, dass sie allein die besten Wahrer ihrer Interessen sind.

Liebe LiV, der Text ist exemplarisch. Er zeigt, ausgehend von einem Fall, wie wichtig gewerkschaftliche Organisation ist und warum viele leider nicht organisiert sind. Und meine eigene Erfahrung möchte ich noch anführen: Die Bereitschaft, sich über Gebühr zu belasten, ist gerade in den ersten Berufsjahren beson- ders hoch. Dass das so ist, ist mehr als plausibel. Die eigenen Grenzen werden manchmal erst nach Jahren sichtbar. Auch will mensch es ja besonders gut machen (gerade unser Beruf verleitet hierzu in besonderem Maße; schließlich ist er ja nicht nur ein Job, sondern es ist Leidenschaft dabei) und last but not least: mensch will nicht andauernd mäkeln und nein sagen. Die GEW bietet die Gelegenheit, über gute Schule, aber auch über gute Arbeitsbedingungen nachzuden- ken und dafür zu kämpfen.

Wer wirklich gut arbeiten will, muss auch über die Arbeitsbedingungen sprechen und diese ggf. ändern.

In diesen Sinne: wer noch 40 Jahre vor sich hat, sollte früh anfangen, sich für eine gute Schule zu engagieren. Die GEW ist der Ort dafür.

Dr. Manon Tuckfeld

Erstveröffentlichung im LiV-Spektrum 2019: https://www.gew-hessen.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/liv_spektrum/1905_liv_spektrum2019_web.pdf