VOM (UN)SINN ÖKONOMISIERTER BILDUNG

WEGE AUS DER ENTDEMOKRATISIERUNGSFALLE

Samstag, den 29.2.2020, 9:30 – 17:00, DGB-Haus Frankfurt

Wir, die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Gegen die Ökonomisierung der Bildung“ der GEW Frankfurt und Südhessen, beschäftigen uns seit mehreren Jahren kritisch mit der zunehmenden „Ökonomisierung des Bildungswesens“. In mehreren Vortragsreihen und einer ganztätigen Veranstaltung haben wir thematisiert, wie Wirtschaftskonzerne – allen voran Bertelsmann – sowie zahlreiche andere Firmen über ihre Stiftungen und ihre Berater in den Kultusministerien Einfluss auf die Bildungspolitik nehmen. Dass die OECD als internationale Wirtschaftsorganisation den PISA-Schock inszeniert hat, spricht Bände.  Immer wieder meldet sie sich mit neuesten Studien zu Wort, um die Bildungsdebatte möglichst zu majorisieren. Doch die „Reformen“ der letzten Jahre

 (Methoden und Kompetenzen, G8/G9, die Umsetzung der Inklusion, Modularisierung in Studium und Referendariat) zeitigen bereits jetzt in aller Deutlichkeit ihre Wirkung. Nicht erst  der aktuelle Lehrermangel an Grund- und Förderschulen gibt Anlass zur Sorge. Kolleginnen und Kollegen aller Schulformen sind überlastet und ihre Zufriedenheit mit dem Beruf nimmt immer mehr ab, trotz hohen Engagements.

Die kommende Veranstaltung will aufzeigen, welche Phänomene dazu beigetragen haben.

Dazu zählt der Versuch,

  • demokratische Strukturen und Gremien wie die Gesamtkonferenz mit dem Instrument der Indirekten Steuerung (Siemens)  auszuhöhlen oder gänzlich zu entmachten;
  • das Prinzip der Pädagogischen Beziehungen über Bord zu werfen (Frenzel);
  • Schule und Unterricht, Lehre und Forschung mehr nach Management-Logiken zu organisieren, ohne dass dies transparent gemacht würde (Krautz). Alle Beteiligten würden so ihrer pädagogischen und didaktischen Freiheit und Verantwortung beraubt.

Nun soll mit dem Digitalpakt der IT-Industrie der schrankenlose Zugang zu  unseren Schulen und zu unseren Daten geebnet werden (Lankau).

Oberstes Bildungsziel der Ökonomisierung von Bildung ist nicht der umfassend gebildete Mensch, sondern der perfekt angepasste „Homo ökonomicus“.

„Wege aus der Entdemokratisierungsfalle“ lassen sich nur finden, wenn wir einerseits die  kritische Aufklärung voranbringen und andererseits zu mutigem Widerstand aufrufen.

 

PROGRAMMABLAUF:

 

9:30    Begrüßung und Einführung

10:00 Teamarbeit: ein Instrument indirekter Steuerung oder Chance zur Selbstorganisation?

            Stephan Siemens [Experte für Arbeitspsychologie + Burnout-Prävention, Köln]

11:30 Alternativen und Widerstandsmöglichkeiten: Beiträge aus der AG

  • Dr. Gabriele Frenzel: Pädagogische Freiheit – eine Idee von gestern?
  • Eva Wehrheim und Maria Heydari: Schule braucht Demokratie – Wunschzettel einer Grundschullehrerin
  • Herbert Storn: Gesamtkonferenzen – mehr Mitbestimmung geht nicht – aber die will auch organisiert sein

13:00  Mittagspause

14:00  Digitaler Neoliberalismus bis ins Klassenzimmer - oder: warum IT für Schulen neu gedacht werden muss

            Prof. Ralf Lankau [Hochschule Offenburg]
 

15:30   Ökonomisierung als technologische Steuerung von Schule und Unterricht: Phänomene, Kritik und Alternativen

Prof. Jochen Krautz [Bergische Universität Wuppertal]

 

16:30  Schlussdiskussion   

            

In der Mittagspause kostenloser Snack und Getränke sowie Songs der Gruppe wirgefühl zur „schönen neuen Arbeitswelt“
 

Veranstaltungsort: DGB-Haus (großer Saal), Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77, Frankfurt/Main (Parkmöglichkeiten vorhanden)
 

Arbeitsgruppe Gegen die Ökonomisierung der Bildung der GEW Frankfurt und Südhessen


Um Anmeldung wird gebeten unter: thomas.sachs@gew-frankfurt.de

 

ANKÜNDIGUNGSTEXTE DER REFERENTEN

 

Teamarbeit: ein Instrument indirekter Steuerung oder Chance zur Selbstorganisation?

Stephan Siemens [Experte für Arbeitspsychologie + Burnout-Prävention, Köln]

Wir, die Kolleginnen und Kollegen, werden in Teams organisiert, die dann über Anforderungen der sogenannten „Umwelt“ unter Druck gesetzt werden. In diesem Rahmen verteilen wir als Gruppe gemeinsam diesen Druck – um den „Gruppendruck“ verstärkt – aufeinander als Individuen. Das geschieht im Wesentlichen unbewusst, d.h. die so angelegten Prozesse organisieren sich „von selbst“ (erste Bedeutung von Selbstorganisation). Auf diese Weise werden unsere Beziehungen bei der Arbeit belastet, was zu emotionaler Erschöpfung und über die Jahre zu Burnout führt.

Sich diese Prozesse bewusst zu machen, setzt voraus, dass wir uns mit unseren Beziehungen bei der Arbeit auseinandersetzen mit dem Ziel

-       uns vor einem unbewusst sich entwickelnden Burnout zu schützen.

-       uns Solidarität zu erarbeiten, durch die wir uns gemeinsam gegen die indirekte Steuerung wehren können.

-       unsere gemeinsame Arbeit mehr und mehr selbst zu organisieren (zweite – der ersten entgegengesetzte – Bedeutung von Selbstorganisation).

 

Digitaler Neoliberalismus bis ins Klassenzimmer

oder: warum IT für Schulen neu gedacht werden muss

Prof. Ralf Lankau [Hochschule Offenburg]

Digitaltechnik, wie sie derzeit aus dem Silicon Valley kommt, ist Technik der Gegenaufklärung. Es werden immense Daten ohne EU-Rechtsgrundlage erhoben und nach nicht bekannten Kriterien ausgewertet – auch im Klassenzimmer. Das heißt dann Learning Analytics und ist Big Data für Schulen. Das Ziel ist, mit den aus diesen Daten generierten Lern- und Persönlichkeitsprofilen sowohl den einzelnen Menschen wie ganze Gesellschaften zu steuern. Der Mensch soll tun, was die Systeme ihm sagen. Das ist weder demokratisch noch human, es widerspricht dem Bildungsauftrag von Schulen. Zumal: Lernen lässt sich nicht automatisieren. Lernen ist ein individueller und sozialer Prozess. Am Computer lässt sich allenfalls Bestandswissen beschulen und prüfen. Lehrende vermitteln stattdessen, was technische Systeme nie leisten werden: selbständiges und selbstbestimmtes Denken, kreatives Handeln, Empathie, Verantwortung, Neugier für ein Fach. Nur im sozialen Miteinander können Menschen diese Fähigkeiten entfalten. Daher müssen wir IT in Schulen neu denken: aus pädagogischer Perspektive statt  nach den Parametern der Daten-Ökonomie.

 

Ökonomisierung als technologische Steuerung von Schule und Unterricht:        Phänomene, Kritik und Alternativen

Prof. Jochen Krautz [Bergische Universität Wuppertal]

Die Ökonomisierung von Bildung zeigt sich in der Schule v.a. als Versuche der indirekten Steuerung von Unterricht, von Lehrerinnen und Lehrern und von Schülerinnen und Schülern. Seit den 1960er und wieder verstärkt seit den 1990er Jahren wurden dazu technologische Unterrichtsmodelle entwickelt und durchgesetzt, die heute pädagogisches und didaktisches Denken und Handeln prägen, ohne dass dies noch bewusst wäre. So werden Schule und Unterricht nach Management-Logiken organisiert, die die Beteiligten ihrer Freiheit und Verantwortung berauben.

Doch kann Schule ihrer emanzipatorischen Aufgabe nicht gerecht werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer entmündigt werden und Mündigkeit als Bildungsziel unterlaufen wird. Daher wird auch nach einer systematischen pädagogischen Alternative gefragt, die weder neoliberaler Logik folgt noch dem ‚Wind of Change‘, sondern Freiheit und Verantwortung als Mittel und Ziel von schulischem Lehren und Lernen herausstellt. So können sich auch konkrete Perspektiven für eine zunehmend entdemokratisierte Schule und die drangsalierte Lehrerschaft ergeben.