Umsetzung der Testpflicht bei Schüler*innen mit Behinderungen

Offener Brief von Gemeinsam leben Hessen e.V. an Minister Lorz vom 15.04.2021

Sehr geehrter Herr Staatsminister Prof. Dr. Lorz,

aus Ihrem Elternschreiben vom 13.4.2021 geht hervor, dass nach den Osterferien eine Testpflicht für jede*n Schüler*in zweimal in der Woche besteht. Betroffene Eltern melden sich nun bei uns, die berichten, dass die Testung durch die Antigen-Selbsttestung bei ihrem Kind in der vorgesehenen Form nicht möglich ist.

Schüler*innen im Autismus-Spektrum dulden die in die Nase eingeführten Stäbchen z.T. nicht. Aufgrund der fehlenden Fähigkeit Reize zu filtern, ist es bei ihnen unerheblich, ob der Anstrich unangenehm tief oder wie zum Glück vorgesehen, nur im vorderen Bereich der Nase vorgenommen wird.

Eine Mutter berichtete, dass bei ihrem Sohn durch eine Fehlbildung im Nasen-Rachen-Raum kein Abstrich aus der Nase, auch nicht aus dem Vorderen Nasenraum und erst Recht nicht durch in selbst, erfolgen darf, da es zu Blutungen kommen kann, die dann operativ verödet werden müssten.

Einige der Kinder mit Behinderungen sind körperlich und/oder geistig nicht in der Lage, diese Testung in angemessener Form selbst durchzuführen. Doch nicht in jedem dieser Fälle steht eine Teilhabeassistenz zur Seite, das das dann („freiwillig“) übernehmen könnte.

Sie verweisen die Eltern darauf, dass ihr Kind ohne Testung im Distanzunterricht zu verbleiben hat. Gleichzeitig betonen Sie: „Mit einer Betreuung durch Lehrkräfte wie im Präsenzunterricht kann allerdings nicht gerechnet werden.“ Wir haben nun mittlerweile alle die Erfahrung gemacht, dass der Distanzunterricht keine gleichwertige Alternative zum Präsenzunterricht darstellt. Für Schüler*innen im Autismus-Spektrum ist er teilweise sogar kontraproduktiv. Denn bei dieser Schülergruppe steht das soziale Lernen meist im Vordergrund, der regelmäßige Kontakt mit den Mitschüler*innen ist die grundlegende Voraussetzung dafür, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu sichern (uns ist also hier Bildungs- und Erziehungsziel!). Einige dieser Schüler*innen sind nach längerem Verbleib zuhause überhaupt nicht mehr imstande, sich auf den sozialen Umgang mit Anderen einzulassen.

Für den Jungen mit der Fehlbildung im Nasen-Rachen-Raum bedeutet es einen immensen und für die Mutter nicht leistbaren Aufwand, zweimal wöchentlich ein Testzentrum aufzusuchen, da zudem auch nicht alle Testzentren über die Spucktests verfügen. Ein zweiter Weg wäre, die Tests selbst besorgen und dann zur Durchführung des Testes das Kind in die Schule zu bringen, den Test dort vor den Augen der Lehrer durchzuführen und dann wieder nach Hause zu fahren. Doch wer übernimmt dann die Kosten für diesen 

Test, denn allen anderen Schüler*innen steht er kostenfrei zu Verfügung? Fahrt und Wegbegleitung stellen einen weiteren unverhältnismäßigen Aufwand dar. Da es um eine Förderschule geht, ist das Einzugsgebiet überregional und die Wege dementsprechend weit. Somit werden die Kinder, die nicht den „Standard-Test" machen dürfen massiv benachteiligt, da in diesem Fall eine Beschulung nicht sichergestellt sein kann.

Gleichzeitig schreiben Sie:

Für Schülerinnen und Schüler mit einem Anspruch auf sonderpädagogische Förderung, der eine besondere Betreuung erfordert, wird diese weiterhin in Absprache mit den Eltern in der Schule sichergestellt.

Wir bitten Sie also, hier Wege zu suchen und Lösungen zu finden, auch diesen Kindern, die von der Situation ohnehin besonders betroffen sind, die Teilnahme am Präsenzunterricht zu ermöglichen. Eine Möglichkeit besteht aus Sicht der betroffenen Eltern darin,

  1. für die Antigen-Selbsttests des Unternehmens Roche „die Hilfe leistende Person mit einer entsprechenden Schutzausrüstung (FFP2-Maske, Kittel, Einwegschutzhandschuhe, zusammen mit einem an der Stirn dicht aufsitzenden Gesichtsschild/Visier, das über das Kinn hinausgeht, oder zusammen mit einer dichtschließenden Schutzbrille)“ vorzusehen (Ihr Schreiben vom 20.3.2021);

  2. für die Schüler*innen, bei denen die Testung im Nasen-Rachen-Raum nicht möglich ist, die entsprechenden Spucktests in der Schule vorzuhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dorothea Terpitz
1. Vorsitzende Gemeinsam leben Hessen e.V.