Stellungnahme des GPRLL

zu Videokonferenzsystemen im Lockdown (vom 10.01.2021)

Angesichts des erweiterten, bundesweiten Lockdowns verbunden mit Schul(teil)schließungen in Hessen, entsteht erneut die Problematik des Einsatzes von Videokonferenzsystemen (VKS). Wir hatten hierzu in vorherigen Stellungnahmen immer wieder Stellung bezogen und informiert.

Die örtlichen Personalräte bitten wir, diese Informationen den Kolleg*innen an den Schulen zur Verfügung zu stellen.


In unserer heutigen Erklärung gehen wir auf die Situation ein, dass/wenn Schulleitungen Kolleg*innen anweisen, ihren Unterricht über ein solches VKS zu führen.
In seinem Schreiben vom 20.08.2020 (https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/umgang-mit-corona-schulen/fuer-schulleitungen/schreiben-schulleitungen/einsatz-digitaler-werkzeuge-im-schulalltag) formuliert das hessische Kultusministerium Regelungen für den Einsatz von VKS für die Übertragung von in der Schule stattfindenden Unterricht an Schüler*innen, "die von der Anwesenheit in der Schule befreit sind". Etwas anderes ist übrigens auch nicht durch die Mustereinwilligungen abgedeckt, die hierzu einzuholen sind (siehe Anhang zum Schreiben des Ministeriums vom 23.07.2020 https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/umgang-mit-corona-schulen/fuer-schulleitungen/schreiben-schulleitungen/hinweise-zu-den-organisatorischen-und-rechtlichen-rahmenbedingungen-zu-beginn-der-unterrichtszeit-im): "Im Zusammenhang mit der Eindämmung der Corona-Pandemie kann die Zuschaltung einzelner Schülerinnen und Schüler, die von der Anwesenheit in der Schule befreit sind, zum Präsenzunterricht im Rahmen von unterrichtsersetzenden Maßnahmen mittels Videokonferenzsystem ermöglicht werden."
Weiter heißt es im genannten Schreiben: "Die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für weitergehende Einsatzmöglichkeiten von Videokonferenzlösungen, die insbesondere auch den Fall möglicher erneuter Schulschließungen umfassen, werden gegenwärtig mit dem Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit erörtert. Sobald die Rahmenbedingungen feststehen, erhalten die Schulen entsprechende Informationen.“
Diese weitergehenden Regelungen sind bisher nicht an die Schulen ergangen. Die wesentliche Unterscheidung zu dem obigen Fall liegt darin, dass alle Schüler*innen nicht in der Schule sind - und auch nicht die Lehrkräfte, die womöglich angewiesen werden, ihre privaten Geräte zu nutzen sowie in ihren privaten Räumlichkeiten videografische Aufnahmen zu tätigen. Letzteres verletzt unmittelbar den Schutz der Privaträume und betrifft weitere im Haushalt der Lehrkraft lebende Personen in deren Grundrechten.

Folgende Hinweise geben wir somit für Lehrkräfte, die mit Eingriffen in ihre Grundrechte nicht einverstanden sind:


1) Der Gesamtpersonalrat der Lehrer*innen und Lehrer hält Anweisungen durch Schulleitungen, Videokonferenzen mit privaten Geräten und/oder aus privaten Räumlichkeiten heraus zu führen, für grundsätzlich unzulässig.
 

2) Gegen Anweisungen von Schulleitungen, Videokonferenzen mit schulischen Geräten aus den Schulräumen heraus zu führen, empfiehlt der Gesamtpersonalrat zu remonstrieren.
Hierbei stützen wir uns im wesentlichen auf das Gutachten der Anwaltskanzlei Spirit Legal durch die Anwälte Peter Hense, Franziska Weber und Dr. Diana Ettig vom Oktober 2020 für die GEW Südhessen (erläutert in Auszügen nachzulesen unter https://www.gew-suedhessen.de/home/details/377-zur-rechtlichen-un-zulaessigkeit-des-live-streaming-von-lehrer-nnen/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=3d8523070cbff7c6cfe05d8effdfd85a). Dieses Gutachten wurde konkret mit Blick auf das Schreiben des Kultusministeriums vom 20.08.2020 erstellt.
 

Remonstration – nicht nur Recht, sondern sogar Pflicht!
Die Verpflichtung zur Remonstration ist in § 36 des Beamtenstatusgesetzes geregelt. Dieser hat folgenden Wortlaut:
(1) Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.
(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben Beamtinnen und Beamte unverzüglich auf dem Dienstweg geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, haben sie sich, wenn die Bedenken fortbestehen, an die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzten zu wenden. Wird die Anordnung bestätigt, müssen die Beamtinnen und Beamten sie ausführen und sind von der eigenen Verantwortung befreit. Dies gilt nicht, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen oder Beamten erkennbar ist. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen.
(3) Wird von den Beamtinnen oder Beamten die sofortige Ausführung der Anordnung verlangt, weil Gefahr im Verzug besteht und die Entscheidung der oder des höheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, gilt Absatz 2 Satz 3 und 4 entsprechend.
 

Mit einer Remonstration haben Beamtinnen und Beamte also die Möglichkeit, Bedenken gegen eine dienstliche Weisung vorzubringen. Die Bedenken werden üblicherweise schriftlich vorgetragen, die konkrete Dienstanweisung in Zweifel gezogen. Auf die Remonstration hin muss die oder der Vorgesetze entscheiden, ob sie oder er die Weisung aussetzt, sprich, zurücknimmt. Die andere Möglichkeit ist, dass die oder der Vorgesetzte die oder den Beamten erneut dienstanweist. Für diesen Fall ist die rechtliche Folge, dass die Beamtin oder der Beamte Folgen der Dienstanweisung nicht selbst zu verantworten hatDie Remonstration ist an die Schulleitung zu adressieren (oder aber, wenn die Schulleitung selber remonstrieren möchte, an das Schulamt) und sollte angesichts der Brisanz der Lage auch in Kopie an das HKM weitergeleitet werden. Die Lehrkräfte haben einen Rechtsanspruch, dass auf Remonstration hin eine Reaktion erfolgt.

Aus den Rechtsstellen von im Gesamtpersonalrat vertretenen Gewerkschaften und Verbänden liegen uns ähnliche Einschätzungen vor, die sich insbesondere gegen die These des Ministeriums im Schreiben vom 20.08.2020 richten, dass Einwilligungen der Lehrkräfte nicht notwendig seien. Wir empfehlen betroffenen Kolleg*innen sich in konkreten Fällen neben uns als Gesamtpersonalrat auch unmittelbar an die Rechtsstellen der Gewerkschaften und Verbände zu wenden.

Einwilligungen seitens der Schulen
Die Schulen in Form der verantwortlichen Schulleitungen sind verpflichtet, vor dem Einsatz von VKS seitens der Schüler*innen Einwilligungen über die geplante Datenverarbeitung einzuholen (siehe oben). Diese Einwilligungen müssen informiert und freiwillig sein.
Ersteres bedeutet, dass genau aufgeführt und in einfacher Sprache erklärt werden muss, zu welchem konkreten Zweck die geplante Datenverarbeitung erfolgt, in welchem Umfang (welche konkreten Daten betroffen sind) und mit welchen Mitteln. Hinzu kommt, dass der Datenschutzbeauftragte für Hessen ausgeführt hat, dass es zwingend erforderlich ist, dass "jede Schule im konkreten Einzelfall vorab die Erforderlichkeit der Nutzung eines VKS prüft“ (https://datenschutz.hessen.de/datenschutz/hochschulen-schulen-und-archive/hbdi-duldet-übergangsweise-den-einsatz-von). Erforderlichkeit bedeutet, festzustellen und schriftlich zu dokumentieren, dass und warum kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung steht, um das angestrebte Ziel der Datenverarbeitung zu erreichen (hier: die schulrechtliche Pflicht der Aufrechterhaltung des Bildungs- und Erziehungsauftrags in Form von Unterricht).

Freiwilligkeit bedeutet, dass dem-/derjenigen, der/die nicht einwilligt, keinerlei Nachteil entstehen darf. Im Rahmen der Einholung der Einwilligungen muss den Eltern und Schüler*innen demnach kommuniziert werden, welche nachteilsfreien Alternativen ihnen angeboten werden, so dass diese frei entscheiden können, ob sie in die Nutzung des VKS einwilligen wollen. Für diesen Fall hat das Ministerium bereits Alternativen in seinem Schreiben vom 23.07.2020 formuliert und im Schreiben vom 20.08.2020 wiederholt. Detaillierter hat das Ministerium "Rechtliche Klärungen, Empfehlungen und Informationen zu unterrichtsersetzenden und unterrichtsunterstützenden Lernsituationen“ zur Verfügung gestellt (https://kultusministerium.hessen.de/presse/infomaterial/9/rechtliche-klaerungen-empfehlungen-und-informationen-zu-unterrichtsersetzenden-und). Hieraus ergibt sich somit unmittelbar, dass diverse anerkannte und akzeptierte Alternativen zum Einsatz von VKS existieren. Es besteht daher mit Nichten eine Alternativlosigkeit zum Einsatz von VKS. Hierauf können Lehrkräfte auch im Rahmen einer ggf. notwendigen Remonstration verweisen und zudem auf ihre pädagogische Freiheit verweisen, selber zu entscheiden, wie sie ihren Unterricht und diesen ersetzende Maßnahmen konkret ausgestalten.

Abschließend appelliert der Gesamtpersonalrat dringend an die Schulleitungen, Kolleg*innen nicht in ihren Grundrechten der informationellen Selbstbestimmung sowie des Rechts am eigenen Bild und Wort anzugreifen und in Situationen zu zwingen zu versuchen, mit denen diese nicht einverstanden sind.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Manon Tuckfeld und René Scheppler
Vorsitzende des Gesamtpersonalrats
der Lehrerinnen und Lehrer beim Staatlichen Schulamt für den Rheingau-Taunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden (GPRLL-RTWI)
Walter-Hallstein-Straße 3-5
65197 Wiesbaden