Stellungnahme der GEW-Wiesbaden-Rheingau zur Wiederaufnahme des Unterrichts

Pressemitteilung vom 23.04.2020

Stellungnahme der GEW-Wiesbaden-Rheingau zur schrittweisen Wiederaufnahme des Unterrichts ab dem 27.4.2020

Dem Brief des Kultusministers vom 16.04.2020 ( page1image44827456Pressemitteilung Hessen beginnt ab 27. April schrittweise wieder mit dem Unterricht - barrierefrei (PDF / 181 KB) ) ist zu entnehmen, welche Schul- formen und Schulstufen am 27.4.2020 den Unterricht wieder aufnehmen sollen. Es sind davon 230.000 der rund 750.000 hessischen Schülerinnen und Schüler betroffen.

Besorgnis und Unverständnis hat die Tatsache ausgelöst, dass auch die 4. Klassen der Grundschulen ab dem 27.4.2020 - und damit deutlich früher als in allen anderen Bundesländern –
wieder unterrichtet werden sollen.

Die GEW Wiesbaden-Rheingau fordert die Schulträger auf, die Berichte aus den Schulen ernst zu neh- men und verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehören:

  • ausreichende Vorlaufzeiten für die Wiederaufnahme von Präsenzunterricht

  • verantwortungsbewusste, am Alter der Kinder und der Raumgröße orientierte maximale Gruppen-

    größen, die die Einhaltung der Abstandsregeln ermöglichen

  • Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln und ausreichendem Mundschutz

  • für die Ausstattung der Klassenräume Handwaschmöglichkeiten, Seife und Einmalhandtüchern

  • hygienischen Entsorgungsmöglichkeiten (z.B. geschlossene Mülleimer)

  • Reinigungsstandards und -intervalle unter den Bedingungen einer Pandemie

  • Regelungen zum Ausschluss von Kindern vom Unterricht, die Erkältungssymptome zeigen oder die

    Hygieneregeln wiederholt oder massiv missachten

    Dass der Unterricht nicht bis zum vollständigen Ende der Corona-Pandemie ausgesetzt werden kann, ist auch für die GEW unstrittig. Die Eile, das Vorpreschen und die Argumentation der hessischen Lan- desregierung halten wir jedoch für problematisch:

  • Die Vorstellung, dass man die Abstands- und Verhaltensregelungen im schulischen Kontext durch-

    setzen kann, ist unrealistisch. Das ging vielleicht noch beim Abitur, nicht jedoch bei Grundschulkin- dern und Jugendlichen in der Pubertät. Insoweit halten wir das Argument des Kultusministers, man habe das „beim Abitur alles erfolgreich erprobt“, für absurd.

  • Statt die Hinweise auf mangelnde hygienische Bedingungen an Schulen ernst zu nehmen, erklärte Minister Lorz, man könne „nicht warten, bis die letzte Schultoilette auf dem neusten Stand ist“.

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Im Folgenden gehen wir auf einzelne Aspekte genauer ein:

Gruppengrößen

Das HKM enthält die Aussage, dass die Gruppengröße in Abhängigkeit von den räumlichen Gegeben- heiten „in der Regel 15 Schülerinnen und Schüler nicht übersteigen“ soll. Dabei ist „ein Mindestab- stand von 1,5 Metern in alle Richtungen“ einzuhalten. Eine Differenzierung nach Jahrgangsstufen ist nicht zu finden.

Die GEW hat die dringende Empfehlung an alle Schulleitungen, Personalräte und Kollegien, sich nicht einer solchen Richtgröße zu unterwerfen, sondern verantwortungsbewusst unter Berücksichtigung des Bewegungsverhaltens der Schülerinnen und Schüler und der Raumgrößen auch deutlich kleinere Grup- pen zu bilden.

Unterrichtsangebot

Das HKM spricht ebenfalls unabhängig von der Jahrgangsstufe und Schulform von „mindestens 20 Wo- chenstunden“.
Die GEW geht davon aus, dass dieses Volumen in vielen Fällen angesichts der vielen Kolleginnen und Kollegen, die als Angehörige einer Risikogruppe und wegen des Einsatzes in der – inzwischen weiter ausgeweiteten - Notbetreuung nicht zum Präsenzunterricht verpflichtet sind (siehe unten), nicht zu erfüllen sein wird. Auch für das Personal gilt ein verantwortungsbewusster Umgang mit deren Arbeits- kraft und deren Gesundheit.

Hygienische Bedingungen

Die Stadt Wiesbaden wartet hinsichtlich eines Hygieneplans/ Infektionsschutzplan zunächst die Vorga- ben von Landesebene ab.

Statt selbst ein Hygienekonzept mit Mindeststandards unter den Bedingungen einer Pandemie vorzu- legen, kündigt das HKM lediglich „ein Muster für einen schulischen Hygieneplan“ an. Die GEW hat die dringende Empfehlung an alle Schulleitungen, Personalräte und Kollegien, sich die Hygienepläne der Schulträger vorlegen zu lassen und deren Einhaltung zu überprüfen. Mängel bei der Ausstattung und der regelmäßigen und sorgfältigen Durchführung der Hygienemaßnahmen müssen umgehend sowohl an die Schulträger als auch an das Schulamt gemeldet werden. In diesem Zusammenhang verweist die GEW ausdrücklich auf die aktuellen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/einheitlicher- arbeitsschutz-gegen-coronavirus.html

Wenn, wie die Landesregierung immer wieder betont, die Gesundheit der Menschen oberste Priorität hat, muss dies auch für die Bedingungen zur Wiederaufnahme des Unterrichts gelten. Wenn der Unter- richt aufgrund mangelnder hygienischer Bedingungen nicht fortgesetzt werden kann, muss dies von Schulleitungen unmittelbar veranlasst und berichtet werden.

Mund-Nasen-Bedeckung

Die jüngste Entscheidung der Hessischen Landesregierung im öffentlichen Nahverkehr und Geschäften zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sollte auch in Schulen zum Tragen kommen. Dabei müssen entsprechende Masken Schülerinnen und Schülern sowie dem Personal in Schulen zur verfügung ge- stellt werden.

Risikogruppen: Befreiung vom Präsenzunterricht

Das Schreiben des Ministers vom 16.4.2020 weist darauf hin, dass der Begriff der Risikogruppe für Lehrkräfte und für Schülerinnen und Schüler, die von Schulbetrieb in Form des Präsenzunterrichts „be- freit“ sind, mit der Änderung der Corona-Verordnung am 16.4. (Veröffentlichung im Gesetz- und Ver- ordnungsblatt am 18.4.) neu gefasst und deutlich erweitert wurde:

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Zweite Corona-Verordnung: Ergänzung des § 3 durch den folgenden Absatz 4

(4) Schülerinnen, Schüler, Studierende und Lehrkräfte, die bei einer Infektion mit dem SARSCoV2-Virus dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ausgesetzt oder älter als 60 Jahre alt sind (Risikogruppe), sind vom Schulbetrieb nach Abs. 1 bis 3 weiter befreit. Gleiches gilt für Schülerinnen, Schüler, Studierende und Lehrkräfte, die mit Angehörigen einer Risikogruppe im Sinne des Satz 1 in einem Hausstand leben.

Zu der Frage, wann ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs gegeben ist, ist in den bishe- rigen Verordnungen von „relevanten Vorerkrankungen“ die Rede. Eine Präzisierung findet man in der FAQ-Liste des HKM zu der Frage, welches Personal in der Notbetreuung eingesetzt werden kann. Diese Definition entspricht den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts:

„Für Personal ab einem Alter von 60 Jahren und alle, bei denen eine Grunderkrankung (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems, der Leber, der Niere sowie Krebserkrankungen) vorliegt, sowie Personen mit unterdrücktem Immunsystem kann ein etwaiger Einsatz in der Notbetreuung nur auf freiwilliger Basis erfolgen.“

kultusministerium.hessen.de/schulsystem/coronavirus-schulen/fuer-schulleitungen/haeufig-gestellte-fragen > Wel- ches Personal kann in der Notbetreuung eingesetzt werden?
Eine förmliche Regelung zum Nachweis relevanter Vorerkrankungen ist uns nicht bekannt. Wird der Tatbestand von der Schulleitung, die für den Einsatz der Lehrkräfte bzw. die Freistellung von der Schul- pflicht zuständig ist, bezweifelt, kann der Nachweis durch entsprechende Behandlungsbefunde oder die Bescheinigung eines Haus- oder Facharztes erbracht werden.

Lehrkräfte mit Kindern unter 12 Jahren

Die GEW hat immer wieder auch auf die Probleme von Lehrkräften mit kleinen Kindern hingewiesen, die wegen der Schließung der Schulen und Kitas zu Hause betreut werden müssen. Die GEW fordert auch hier klare Regelungen. Die Notlösung, bei einem Einsatz der Lehrkräfte in der Notbetreuung die eigenen Kinder mitzunehmen, stand in einem deutlichen Widerspruch zum Grundsatz der Reduzierung von Sozialkontakten. Die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts für 30% der hessischen Schülerinnen und Schüler wird das Problem verschärfen. Die Gruppe der Eltern, die einen Anspruch auf eine Notbe- treuung haben, wurde zwar jetzt mit der letzten Änderung der Corona-Verordnung auf alle alleinerzie- henden berufstätigen Eltern erweitert, Lehrkräfte sind in der Liste der „systemrelevanten Berufe“ wei- terhin nicht aufgeführt. Deshalb fordert die GEW auch hier notwendige Freistellungen für Arbeiten im Homeoffice, auch wenn dies den Kreis der Beschäftigten, die im Präsenzunterricht eingesetzt werden können, weiter reduziert.