Offener Brief des Gesamtpersonalrats an Minister Lorz

vom 25.02.2021

BETREFF: OFFENER BRIEF DES GPRLL RHEINGAU-TAUNUS-KREIS UND WIESBADEN BZGL. DER PARTIELLEN SCHULÖFNUNGEN AB 22.02.2021
 

Sehr geehrter Hr. Lorz, sehr geehrte Damen und Herren,

seitens des Gesamtpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer am Staatlichen Schulamt für den Rheingau-Taunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden kommen wir bereits nach den ersten Tagen der erweiterten Schulöffnung zu der Einschätzung, dass die von Ihrem Haus vorgelegten Maßnahmen und Anordnungen bzgl. der partiellen Schulöffnungen ab 22.02.2021 in der uns vorliegenden Form unangemessen und in Schulen nicht erfolgreich realisierbar sind.

Wir begründen dies wie folgt:

  1. Zu viele Schüler*innen sollen in Präsenz in den Schulen beschult werden, ohne dass dafür die räumlichen, personellen und sächlichen Mittel zur Verfügung stehen.
  2. Die Lehrkräfte, die in den Abstand einzuhaltenden Präsenzunterricht zum Einsatz kommen, können sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht teilen. Dennoch springen sie von einer Teillerngruppe zur anderen und versuchen dort, sinnvoll angeleiteten Unterricht zu geben. Dies ist, da nicht in jeder Teillerngruppe jede Lehrphase minutengenau (parallel versetzt) gleich lang ist, eine kaum zu bewältigende Aufgabe. 
  3. Nachsteuern, im Sinne des Mehreinsatzes von Lehrkräften in geteilten Lerngruppe, geht auch nicht. Die Anzahl der Lehrkräfte steht nun mal in einem mathematisch präzisen Zusammenhang mit der Anzahl der Schüler*innen. Wird die Anzahl der Unterrichtsstunden verdoppelt (geteilte Lerngruppen), führt dies zwangläufig zu mehr Bedarf an Lehrkräften.
  4. Die anderen Lehrkräfte unterrichten aber Schülergruppen in Distanz. Manchmal unterrichten Kolleg*innen, die zwei Lerngruppe parallel unterrichten, auch noch zusätzlichen Schüler*innen in Distanz.
  5. Im Ergebnis heißt dies: Der Einsatz vieler Lehrkräfte überschreitet inzwischen oft jedes Maß, wenn verlangt wird, dass diese mehrere Lerngruppen und diese zudem geteilt unterrichten sollen. Die Qualität des Unterrichts leidet hier erheblich und wird offenbar billigend in Kauf genommen. Und sollte es am Ende doch nur um die Betreuung gehen, vermissen wir jede Anstrengung Ihres Hauses, die personelle Unterstützung für die Kollegien zu verbessern. Die Hinweise zum Ausgleich über die Mehrarbeitsvergütung reichen nicht. Die Mittel, die real zur Verfügung stehen, auch nicht – dies schon da der Weg es zu beantragen so kompliziert ist, dass er kaum gewählt wird. 
  6. Jetzt kommt hinzu, dass die räumliche Situation in Schulen begrenzt ist, und dass beliebiges Teilen (aus 1 mach 2) ein Ende findet, wenn immer mehr Schüler*innen in die Schule zurückkehren. Wenn zu den Klassenstufen 1-6, die in den Wechselunterricht zurückgerufen werden, noch die Notbetreuung kommt, ist auch hier sehr schnell die Schule an ihren jeweiligen räumlichen Grenzen. 
  7. Das skizzierte trifft ganz besonders für die Schulform Berufsschulen zu, da sich in dieser Schulform fast alle Klasse im Abschluss befinden. Lehrerkolleg*innen haben zeitweise täglich Kontakt zu über 100 Schüler*innen.
  8. Im Ergebnis heißt dies: In mehreren Schulformen führen die Anzahl der in Präsenz zurückgerufenen Schüler*innengruppen zu derart vollen Schulgebäuden, dass Abstände nicht eingehalten werden können. Dies betrifft sowohl Schüler*innen als auch die Lehrkräfte in ihren Arbeits- und Pausenräumen.
  9. Zu den sächlichen Ausstattungen. Es fehlt allen Ortens an der Digitalisierung, egal ob es nun dienstliche Endgeräte für Lehrkräfte, infrastrukturell verlässliche Internetanbindungen der Schulen, digitale und lizenzfreie Materialien oder stabile, staatlich souveräne Portale für digitale Kommunikation sind.
  10. Dass die einzigen Schutzmaßnahmen weiterhin Lüften und Abstand sein sollen, ist aus unserer Sicht unzureichend.
  11. Noch immer gibt es nicht im ausreichenden Umfang Luftreiniger und Lüftungssysteme. 
  12. Die für Schulen vorgesehenen Schutzmaßnahmen werden spätestens auf dem Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln ad absurdum geführt. Eine Abstimmung mit den Schulträgern und Verantwortlichen des Busverkehrs hat hierzu offenbar nicht stattgefunden.
  13. Noch immer werden die Schulen – sowohl Lehrkräfte als auch Schüler*innen – nicht im notwendigen Umfang mit FFP2-Masken versorgt. Dass aus Ihrem Haus weiterhin lediglich entsprechende „Empfehlungen“ ausgesprochen werden, ist Ausdruck der seit Monaten vernachlässigten Beschaffung.
  14. Fragwürdig und den Arbeits- und Gesundheitsschutz vollkommen unzureichend würdigend ist der Umstand, dass Schulleitungen die Maskenpflicht aufheben dürfen (ganz oder teilweise). Für diese Beurteilung fehlen vielen Schulleitungen Expertise und wissenschaftliche Grundlagen, auf der eine solche Einschätzung getroffen werden könnte.

Wir möchten betonen, dass die Lehrkräfte an den Schulen durchaus hohe und seit Beginn der Pandemie anhaltenden Einsatz und Engagement zur Bewältigung der Krise aufbringen. Wir sind uns der besonderen Rolle und Funktion von Schulen für unsere Gesellschaft bewusst.

Angesichts der Tatsache, dass wir bereits vor der Pandemie deutlich auf die prekäre personelle und materielle Situation in den Schulen hingewiesen haben, wird diese Unterversorgung nun mehr als auffällig. Eine 104prozentige Unterrichtsversorgung scheint es nur auf dem Papier zu geben – im Alltag ist davon nichts spürbar.

Wir fordern daher:

  1. Ausstattung mit FFP2-Masken für alle Schüler*innen und Lehrkräfte im ausreichenden Umfang für jeden Präsenztag.
  2. Eindeutigere Anweisungen zum Tragen und Umgang mit diesen FFP2-Masken.
  3. Deutlich bessere Kooperation und Koordination Ihrer Anweisungen mit den regionalen Verhältnissen der Schüler*innenbeförderung.
  4. Ein deutlich höheres Engagement hinsichtlich der Digitalisierung in Schulen. 
    Hierbei bedarf es nicht nur der Ausstattung mit Endgeräten für Schüler*innen und Lehrkräfte. Vollkommen vernachlässigt wird die notwendige Infrastruktur – z.B. personelle und materielle Ausstattung der Medienzentren und Lehrkräfteakademie. In dem Ausmaß, in dem das Land Hessen die Umsetzung der Digitalisierung einfordert, sehen wir auch eine Verantwortung und Beteiligung mit und gegenüber den Schulträgern.
  5. Merklich mehr Personal auch für betreuende Situationen zur Entlastung von Unterricht und Lehrkräften.
  6. Ein Ausgleich in Stunden für die zusätzlich von den Kolleg*innen geleistete Mehrarbeit. Dies ohne den bürokratischen Aufwand.
  7. Tägliche Möglichkeiten zu Schnelltests als freiwilliges Angebot für Lehrkräfte.
  8. Mehr Gestaltungsfreiheit für die Schulen, um ein an die personelle, räumliche und sächliche Ausstattung angepasste Unterrichtsplanung vorzunehmen.
  9. Aber auch noch mehr Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Leistungsnachweise und Klausuren. Hier gilt es abzuwägen zwischen der kurzen Zeit, die manchen Lehrkräften verbleibt, um gesichert Lerninhalte vermittelt zu haben, und dem Recht der Schüler*innen, mehr Möglichkeiten zu haben, Leistung zu zeigen. Dies kann nur in den jeweiligen Situationen entschieden werden.
  10. Einbeziehung aller Gremien in den Entscheidungsprozess vor Ort – gemeint sind neben den Schulpersonalräten auch die Elternvertreter*innen und die Schul- und Klassensprecher*innen.
  11. Verbindlichkeit hinsichtlich der Stufigkeit (angepasster Regelbetrieb etc.)  über die Festlegung der Inzidenzen. Dies regional bezogen, damit maßgeschneiderte lokal und regional an die Notwendigkeiten angepasste Konzepte in Schule entwickelt werden können. 
  12. Schnelltests sollen umfänglich und auskömmlich zur Verfügung gestellt werden, um das Infektionsrisiko zu minimieren.
  13. Nicht nur Grund- und Förderschulkolleg*innen gehören in die Kategorie 2 (Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2) – sondern alle Lehrkräfte, die täglich und immer wieder aufs Neue mit unterschiedlichen Lerngruppe in Kontakt kommen.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Manon Tuckfeld

VORSITZENDE DES GESAMTPERSONALRATS DER LEHRERINNEN UND LEHRER

auf Beschluss des Gesamtpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer für den Rheingau-Taunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden vom 24.02.2021.