Kein Pardon bei der Verletzung von Grundrechten...a never ending story!?

 

Studien des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB: Wrase, Jung, Helbig, 2016) weisen seit Jahren darauf hin, dass bei Privatschulen "...eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern..." grundgesetzlich (GG Art. 7) zwar verboten ist, aber in der Realität dennoch von einem "missachteten Verfassungsgebot" gesprochen werden kann.

Die vom BVerfG als angemessen bezeichneten Schulgelder von Privatschulen- sowie Schulgeldbefreiungen für bedürftige Familien u.ä. - werden dabei von diesen Schulen häufig 'kreativ ausgehebelt'.
Eine Pressemitteilung des WZB vom Nov. 2016 schlussfolgert:

"Die Bundesländer missachten Vorgaben des Grundgesetzes über die Genehmigung von Privatschulen. Die laut Verfassung verbotene 'Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern' an Privatschulen wird durch die Schulpolitik und Verwaltungspraxis unterlaufen. Die vom Grundgesetz beabsichtigte soziale Durchmischung der Privatschulen findet nicht statt....."

Als Fazit heißt es: "Die tatsächliche Aufnahmepraxis an den Privatschulen auf Einhaltung des Sonderungsverbots wird von keinem einzigen Bundesland überprüft. Das belegen Michael Wrase und Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer Studie..."

Und für Hessen lautet das Resümee in einer weiteren WZB-Studie 2017 (Defizite der Regulierung und Aufsicht von privaten Ersatzschulen in Bezug auf das Sonderungsverbot nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG):

VII. Fazit : ".....im Gegensatz dazu (gemeint ist Berlin, d.Verf.) existieren in Hessen überhaupt keine konkreten Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots, was noch weniger den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. An den Gebührenordnungen der hessischen Privatschulen wird offensichtlich, dass etliche der Schulen eklatant gegen das Sonderungsverbot verstoßen, wenn man die Kriterien der Rechtsprechung oder die Regelungen der anderen Bundesländer als Maßstab anlegt.  Trotz horrender Gebühren einiger hessischer Privatschulen hatte dies bisher keine Konsequenzen. Dementsprechend ist auch in Hessen auf ein massives Regulierungs- und Kontrolldefizit der Schulaufsicht hihinzuweisen."                                                                                                                       

Aus Wiesbadener Sicht bemerkenswert erscheint in diesem Kontext, dass das Hessische Kultusministerium auf eine Anfrage der Wiesbadener SPD - Fraktion ( WI - Privatschulen und das Sonderungsverbot, Jan. 2018) im März 2018 knapp mit einem Zwischenbescheid reagierte, dem bis heute kein Abschlussbericht folgte.

In einer Antwort der Hessischen Landesregierung (CDU/GRÜNE) auf eine Große Anfrage der Abg. Cardenas (DIE LINKE) und Fraktion betreffend das 'Sonderungsverbot' heißt es im Hinblick auf die Kontroll-/ Aufsichtspflichten:

"Frage 3.  Wie und in welchen zeitlichen Abständen wird bei genehmigten Schulen in freier Trägerschaft die Einhaltung des Sonderungsverbots überprüft? 
Die Staatlichen Schulämter wurden durch Erlass vom 10. September 2015 angewiesen, die Ersatzschulen in einem dreijährigen Turnus über die Änderungen der relevanten Faktoren für dieEinhaltung des Sonderungsverbotes berichten zu lassen. 

Der Meldung der Ersatzschulen muss zu entnehmen sein, welche Zahlungen die Eltern insge-
samt pro Jahr und Monat für die Beschulung ihres Kindes zu leisten haben, inwieweit Staffelungen oder Zahlungsbefreiung nach den Einkommensverhältnissen der Eltern berücksichtigt werden und ob von den Eltern Darlehen zur Verfügung gestellt oder Aufnahmegebühren geleistet
werden müssen. Das Schulgeld ist von den anderen Leistungen getrennt auszuweisen. Darüber hinaus sollen andere Befreiungskriterien wie beispielsweise Geschwisterrabatte aus der Meldung ersichtlich sein.
Nach Auswertung der Meldungen sind die entsprechenden Ersatzschulen gegebenenfalls aufzufordern, die Höhe des Schulgeldes zu korrigieren.
 
Frage 4.  Welche  Schulen  werden  jährlich  durch  die  Staatlichen  Schulämter  besucht 

(wie  in  Drucks. 18/3436 in der Antwort auf Frage 3 der Großen Anfrage geschildert)?
  Was wird bei diesen Besuchen überprüft und wie wird es dokumentiert?
 
In der Regel wird die überwiegende Anzahl der Ersatzschulen von den Staatlichen Schulämtern regelmäßig mindestens einmal pro Jahr zur schulfachlichen Überprüfung besucht. Dabei finden Unterrichtsbesuche, Gespräche mit Schulleitung, der pädagogischer Leitung und dem Träger statt, bei denen sowohl pädagogische und curriculare Fragestellungen als auch Fragen zu Schulgebäude, Entwicklung der Schülerzahlen, Elternbeiträgen sowie sonstige geplante Veränderungen thematisiert werden. Hierzu werden Protokolle erstellt. Darüber hinaus erfolgen anlassbezogene Besuche, wie beispielsweise zur Erteilung von Unterrichtsgenehmigungen für Lehrkräfte sowie Prüfungsvorsitz bei Abitur oder Abschlüssen im beruflichen Bereich. Die entsprechenden Schulaufsichtsbeamten nehmen an Veranstaltungen der Schulen in freier Trägerschaft teil. In einigen Schulaufsichtsbereichen werden die Schulleiter der Schulen in freier Trägerschaft und die
Schulleiter der öffentlichen Schulen gemeinsam zu den von den Staatlichen Schulämtern initiierten Dienstversammlungen eingeladen."

Dieses Sonderungsverbot findet sich im Übrigen auch gleichlautend in der Hessischen Verfassung, Art. 61 und im Hessischen Schulgesetz § 171, wobei in der HV ausdrücklich auch die privaten Hochschulen einbezogen werden.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Hess. Landtag (Chr. Degen) hat in diesem Zusammenhang im Mai und September zwei Anfragen zum 'Sonderungsverbot an hessischen Hochschulen' an die Landesregierung gerichtet.

Bei der zweiten, erweiterten Anfrage heißt es erhellend :

"Aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage 'Sonderungsverbot an hessischen Hochschulen'

(Drs. 20/5806) ergeben sich weitere Nachfragen.

Wir fragen die Landesregierung: http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/8/06368.pdf

Die Antwort der Landesregierung steht noch aus.

Aktuell sorgt ein Revisionsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom Mai 2021 bei Betreibern von lukrativen Privatschulen für Aufregung. Dabei wurde die Gemeinnützigkeit eines Trägers einer Privatschule endgültig abschlägig beschieden:

"Der Träger einer Privatschule fördert mit dem Schulbetrieb nicht die Allgemeinheit, wenn die Höhe der Schulgebühren auch unter Berücksichtigung eines Stipendienangebots zur Folge hat, dass die Schülerschaft sich nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt." (Urt.; BFH 26.5.2021, V R 31/19; SIS 21 14 69)

In der Begründung heißt es weiter (auszugsweise):

Ziffer 11     Die Tätigkeit der Klägerin sei nicht darauf gerichtet, die Allgemeinheit zu fördern, weil sie gegen das Verbot einer Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern verstoße und sich nur an einen kleinen, sehr abgegrenzten Personenkreis richte. Eine Tätigkeit, die mit der im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommenden objektiven Werteordnung nicht vereinbar sei, stelle keine Förderung der Allgemeinheit dar.

Ziffer  14     Eine Förderung der Allgemeinheit könne nicht allein wegen des von der Schulbehörde bejahten besonderen öffentlichen Interesses an einer internationalen Ergänzungsschule angenommen werden. Die Höhe der Schulgelder führe dazu, dass nur ein sehr kleiner Kreis wohlhabender Eltern und deren Kinder gefördert würde. Die Zahl der einkommensunabhängig beschulten Schüler, bei der die sog. Firmenzahler nicht zu berücksichtigen seien, betrage nur ca. 10 % der Schüler. Damit fehle es an einer Förderung der Allgemeinheit, auch wenn zugunsten der Klägerin berücksichtigt würde, dass sie nicht öffentlich gefördert werde und daher mit ihrem Schulangebot die Allgemeinheit entlaste. Ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an einer internationalen Privatschule mit der Unterrichtssprache Englisch könne de lege lata nicht dazu führen, dass die Klägerin trotz der sehr hohen Schulgebühren als gemeinnützig anzuerkennen sei.

Ziffer  25     Die Werteordnung des GG missbillige eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern. Eine Tätigkeit, die damit nicht vereinbar sei, sei keine Förderung der Allgemeinheit.

LINK: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110179/

Aus Sicht der GEW-Wiesbaden-Rheingau bietet dieses BFH-Revisionsurteil die Möglichkeit, nicht nur bei der Frage nach der Gemeinnützigkeit das Sonderungsverbot als Messlatte zu berücksichtigen, sondern die BFH-Beurteilungen generell als Detailanforderungen für die Einhaltung und Überprüfung dieses Verfassungsgebots heranzuziehen.

Vor diesem Hintergrund fordert die GEW-Wiesbaden-Rheingau die Wiesbadener Stadtregierung und die Hessische Landesregierung aus CDU und GRÜNE auf, sicherzustellen, dass dieses

sozialstaatlich herausragende  Sonderungsverbot durch regelmäßige Überprüfungen endlich auch durchgesetzt wird, damit die vom Grundgesetz intendierte 'soziale Durchmischung' in den Privatschulen Realität wird und "...eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern..." eben nicht  gefördert wird.

 

Notabene:

In der o.a. Antwort auf eine Anfrage der LINKEN (16.06.2016) weist die Landesregierung erstmals darauf hin, dass die staatlichen Schulämter durch einen Erlass vom 10. Sept. 2015 angewiesen wurden, "die Ersatzschulen in einem dreijährigen Turnus über die Änderungen der relevanten Faktoren für die Einhaltung des Sonderungsverbotes berichten zu lassen."

Mit großer Verärgerung nimmt die GEW-Wiesbaden-Rheingau damit zur Kenntnis, dass die in Regierungsverantwortung stehenden, sog. staatstragenden Parteien seit Jahren offenbar billigend in Kauf genommen haben, dass gegen ein bildungspolitisch bedeutsames und im GG verankertes Grundrecht verstoßen wird...ohne dass dieses Verfassungsgebot regelmäßig überprüft wurde.!?

Damit wurde zugelassen, dass staatlich geförderte private Ersatz- und Ergänzungsschulen die zunehmende Spaltung in unserer Gesellschaft vertiefen.

Die GEW-Wiesbaden-Rheingau vermisst den Aufschrei der demokratischen Parteien...immerhin handelt es sich um ein seit Jahren 'missachtetes Grundrecht' (WRASE)...und wir fragen,

a) welche Parteien endlich bereit sind, die Realisierung dieses Verfassungsgebots zu garantieren?

b) das SSA-Wiesbaden nach dem letzten Prüfbericht für die 12 Wiesbadener Privatschulen, die ja im dreijährigen Turnus im Hinblick auf das Sonderungsverbot seit dem Erlass vom September 2015 berichten müssen. Berichte, die die vom SSA vorzunehmende jährliche schulfachliche Überprüfung betreffen, erscheinen ebenfalls aufschlussreich, um die pädagogische Qualität der Ersatzschulen  beurteilen und gewährleisten zu können.

Auch in Zukunft kämpfen wir als Bildungsgewerkschaft für die Einhaltung des Sonderungsverbots bei Privatschulen sowie privaten Hochschulen und fordern wiederholt eine öffentliche Anhörung im Hessischen Landtag zum Thema "Theorie und Praxis des Sonderungsverbots an privaten Schulen und privaten Hochschulen" mit den genannten Wissenschaftlern vom WZB.

In einer Demokratie muss Bildung allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen und darf nicht zu einer teuren Ware nur für Privilegierte degenerieren...das sollte dann auch dazu beitragen, dass sich die zunehmenden Spaltungstendenzen in der Gesellschaft nicht vertiefen.

"Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren" Bertold Brecht

 

Hajo Barth

Mitglied im Kreisvorstand der GEW – Wiesbaden – Rheingau