AUSSTATTUNG: Wiesbadener Schulen mit digitalen Endgeräten – ein teures Experiment?

gemeinsame Presseerklärung mit dem Stadtelternbeirat der Landeshauptstadt Wiesbaden (22.03.2024)

Dies  vorweg: Der Stadtelternbeirat Wiesbaden und die GEW Wiesbaden begrüßen und unterstützen die Digitalisierung  und die  Medienerziehung in den Schulen und schätzen das  Engagement der Stadt Wiesbaden bei der Ausstattung der  Schulen.

 

Wir sehen jedoch erhebliche Defizite in der Umsetzung.

 

Mit ihrem Beschluss, allen weiterführenden Schulen eine 1:1-Ausstattung mit iPads anzubieten, hat die Stadt Wiesbaden die Schulen offensichtlich in eine Zwangssituation gebracht, die sich immer mehr als digitales Großexperiment entpuppt.

 

Die Wiesbadener Schulen, die sich für oder gegen die Teilnahme gegenüber der Stadt entscheiden sollen, stehen vor der vorhersehbaren Drucksituation im Konkurrenzkampf um Schüler*innen an weiterführenden Schulen. Sich hier für oder gegen eine Teilnahme am 1:1-Projekt zu entscheiden, steht oft unmittelbar vor diesem Hintergrund. Dabei werden die einzelnen Schulen und Lehrkräfte überfordert. Sie wurden nie konzeptionell beteiligt, ihnen fehlt die notwendige Zeit der Vorbereitung und der von der Stadtpolitik gewünschte und verbindliche Einsatz ab Klasse 5 wird als pädagogisch fragwürdig wahrgenommen.

 

Wie sich inzwischen herausstellt, liegen dem Schulträger keinerlei pädagogische oder didaktische Konzepte für das inzwischen bereits mehrfach verzögerte Ausstattungsvorhaben vor.

Das bedeutet, dass sich hier zwei Thematiken auftun:

Zum einen ist das Projekt, das mit einem Start im Sommer 2022 avisiert war, immer noch nicht in den Schulen angekommen. Auslöser sind Verzögerungen bei der Ausschreibung, der Vergabe, der Bestellsysteme usw.

Zum anderen sind initial (trotz mehrfachen Hinweisen auch aus den Reihen des Stadtelternbeirates Wiesbaden) keine verbindlichen Konzepte zum Umgang mit den iPads an den Schulen und im Unterricht festgelegt worden.

Im Ausschuss Schule, Kultur und Städtepartnerschaften vom 07.03.2024 konnten die Stadtverordneten auf eine Anfrage im Rahmen der Bürgerfragestunde keine einzige Schule benennen, die ein solches Konzept hat. Auf Anfrage im Rahmen der Informationsfreiheit (https://fragdenstaat.de/anfrage/konzepte-fuer-das-1-1-ipad-programm/#nachricht-886063) erklärt die Stadt Wiesbaden als Schulträger, dass ihr keinerlei Konzepte vorliegen.

Dennoch hält die Stadt an ihrem Kurs fest und scheint der Auffassung zu sein, dass mit der Ausstattung dann die Auseinandersetzung in den Schulen mit der konkreten Technik erfolge: Digitalisierung first - Pädagogik second.

 

Dieses „Just Do It“-Prinzip im Bereich der Digitalisierung hat den dänischen Minister für Kinder und Bildung jüngst zu einer öffentlichen Entschuldigung gegenüber den Jugendlichen veranlasst: Er „erläuterte dazu in der Tageszeitung Politiken, die Schulen müssten "das Klassenzimmer als Bildungsraum zurückerobern". Tesfaye hatte sich bereits im vergangenen Dezember in einem Interview bei den dänischen Jugendlichen dafür entschuldigt, dass man sie zu "Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment" gemacht habe, "dessen Ausmaß und Folgen wir nicht überblicken können". Das Klassenzimmer sei nun mal keine "Erweiterung des Jugendzimmers, in dem gestreamt, gespielt und geshoppt wird". Nun schrieb er, die Schulen hätten sich den großen Tech-Konzernen zu lange unterworfen, man sei als Gesellschaft zu "verliebt" gewesen in die Wunder der Digitalwelt.“ (https://www.sueddeutsche.de/politik/digitalisierung-daenemark-schule-handy-pisa-tablet-1.6344670)

 

In Schweden stellt das angesehene, wissenschaftliche Karolinska-Institut gegenüber den dortigen Bildungsverantwortlichen fest, dass die Hauptproblematik der nun nachträglich zu korrigierenden Digitalisierung in Schulen vor allem in der fehlenden Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse (z.B. hinsichtlich des Alters der Schüler*innen und den Auswirkungen der Digitalisierung) sowie eben nicht vorhandener, konkreter Konzepte für die Schulen liege (deutsche Übersetzung bei: https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/karolinska-institut-schweden-stellungnahme-zur-nationalen-digitalisierungsstrategie-in-der-bildung.html). Solche Erkenntnisse und Erfahrungen europäischer Vorreiter sollten berücksichtigt werden, um dieselben Fehler in Wiesbaden von vornherein zu vermeiden.

 

Und selbst beim für die Stadt Wiesbaden offenbar vorbildhaften Schulträger Hannover wird inzwischen deutlich, mit welchen Schwierigkeiten Lehrkräfte, Eltern und Schüler*innen im Alltag zusätzlich zu kämpfen haben: “Das iPad lädt neben dem Mülleimer, der Apple Pencil ist verschwunden und die Schüler spielen Roblox, anstatt aufzupassen. (...) Der Einblick veranschaulicht auch, wie strukturelle Probleme Lehrer und Schüler belasten. Allen voran das Fehlen einer Anlaufstelle, besonders für die Kinder, die Unterstützung bräuchten.”(https://www.heise.de/hintergrund/Fack-ju-Goodnotes-Wie-der-Tablet-Unterricht-ablaeuft-oder-auch-nicht-9590849.html)

Die GEW Wiesbaden-Rheingau sieht in der vermutlich unmittelbar bevorstehenden 1:1-Ausstattung mit iPads aktuell ein seitens des Schulträgers ohne wirkliche Unterstützung gegenüber den Schulen forciertes Projekt, in denen die Schulen unter Zugzwang gesetzt und die Schüler*innen zu digitalen Versuchskaninchen gemacht werden.

Der Stadtelternbeirat Wiesbaden sieht Eltern, die auf Grund nicht oder unzureichender Konzepte an ihren Schulen sich überlegen, dieses Gerät für knapp 500€ überhaupt anzuschaffen, wenn überhaupt nicht klar definiert ist, wann, wie und ob überhaupt ein Einsatz seitens der Schule geplant ist.

Hier sei auch auf die Stellungnahmen und Kritik des Stadtelternbeirates vom 15.11.2022 und 25.11.2022 verwiesen.

 

Die GEW Wiesbaden-Rheingau und der StEB Wiesbaden fordern den Schulträger und die Stadt auf:

  • Das Projekt frühestens ab der Klassenstufe 7 zuzulassen.
  • Den Schulen aktive Unterstützung bei der Konzeptentwicklung zukommen zu lassen.
  • Nur solche Schulen auszustatten, die ein dediziertes Konzept und von kommerziellen Anbietern unabhängige Fortbildungen der Lehrkräfte vorliegen haben. Für diese Fortbildungen sind die Lehrkräfte vom Schulträger und den Schulleitungen zu unterstützen.
  • Eine Kontrolle der vorgelegten Konzepte hinsichtlich eines zu erstellenden Anforderungskataloges
  • Die Geräte der Schüler*innen daten- und medienschutzsicher auszuliefern und deren Nutzung auf die in den schulischen Konzepten vorgesehenen Zwecke einzuschränken.


Wir verweisen an dieser Stelle auch auf den Antrag des Stadtschüler*innenrats gegenüber der Stadtverordnetenversammlung, welcher ebenfalls die Konzeptlosigkeit des 1:1-Projekts problematisiert. (https://piwi.wiesbaden.de/antrag/detail/3241082)