ALLES MUSS AUF DEN TISCH - bevor Privatschulen noch mehr öffentliche Gelder erhalten

STELLUNGNAHME der GEW-Wiesbaden-Rheingau

Die GEW Wiesbaden-Rheingau erwartet:

In unserer Demokratie muss Bildung allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen.

Bildung darf folglich nicht durch die Missachtung eines Verfassungsgebots (das Sonderungsverbot
ist ein Grundrecht) zu einer teuren Ware werden. Dies würde die zunehmenden
Spaltungstendenzen in der Gesellschaft vertiefen.

 

Vor diesem Hintergrund nimmt die GEW-Wiesbaden-Rheingau mit Unverständnis zur Kenntnis, dass der Hess. Kultusminister Prof. Lorz zur besseren Finanzierung der hessischen Privat- und Ersatzschulen die Zuwendungen aufstocken will.

 

Bereits in diesem Haushaltsjahr betragen die Zuwendungen an diese Schulen 364 Mio. €

(WK vom 09.08.2022). Dies ist bereits jetzt schon sehr viel!

Viel, wenn der Blick auf die unterfinanzierten und maroden öffentlichen Schulen gelenkt wird…
eigentlich hätten  diese  höchste finanzielle Priorität verdient ... hier ist öffentliches Geld zu investieren.

Viel, da Privat- und Ersatzschulen die Möglichkeit eröffnet wird – durch unzureichende  öffentliche Kontrolle - Ihren Auftrag frei – und oft auch unter Umgehung des GG  Art. 7  – zu bestimmen.

 

Im Grundgesetz Art.7 ist das sog. SONDERUNGSVERBOT verankert. Es legt fest, dass bei Privatschulen, die Schülerschaft sich nicht nach dem Geldbeutel der Eltern zusammensetzen darf...somit haben alle Eltern grundsätzlich das Recht, ihre Kinder in Privatschulen zu schicken...es darf ihnen nicht z.B. durch ein hohes Schulgeld verwehrt werden. Bereits 1972 sorgte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG),  Privatschulen könnten "...durch eine zu homogene Schülerschaft ein einseitiges Bild der Gesellschaft vermittteln..."

 

Die Professoren Wrase, Jung u. Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), haben inzwischen in versch. Untersuchungen auf die Realität dieser höchstrichterlichen Befürchtungen hingewiesen und z.B. für Hessen in einer Pressemitteilung vom Nov. 2016 festgestellt:

 „Die Bundesländer missachten Vorgaben des Grundgesetzes über die Genehmigung von Privatschulen. Die laut Verfassung verbotene ‚Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern‘ an Privatschulen wird durch die Schulpolitik und Verwaltungspraxis unterlaufen. Die vom Grundgesetz beabsichtigte soziale Durchmischung der Privatschulen findet nicht statt...“

 

Als Fazit heißt es:Die tatsächliche Aufnahmepraxis an den Privatschulen auf Einhaltung des Sonderungsverbots wird von keinem einzigen Bundesland überprüft."

Und für Hessen lautet das Resümee in einer weiteren WZB-Studie 2017 (Defizite der Regulierung und Aufsicht von privaten Ersatzschulen in Bezug auf das Sonderungsverbot nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG): „... im Gegensatz dazu (gemeint ist Berlin, d. Verf.) existieren in Hessen überhaupt keine konkreten Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots, was noch weniger den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. An den Gebührenordnungen der hessischen Privatschulen wird offensichtlich, dass etliche der Schulen eklatant gegen das Sonderungsverbot verstoßen, wenn man die Kriterien der Rechtsprechung oder die Regelungen der anderen Bundesländer als Maßstab anlegt. Trotz horrender Gebühren einiger hessischer Privatschulen hatte dies bisher keine Konsequenzen. Dementsprechend ist auch in Hessen auf ein massives Regulierungs- und Kontrolldefizit der Schulaufsicht hinzuweisen.“

 

Aktuell sorgt ein Revisionsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom Mai 2021 bei Betreibern von
lukrativen Privatschulen für Aufregung. Dabei wurde die Gemeinnützigkeit eines Trägers einer
Privatschule im Hinblick auf die Einhaltung des Sonderungsverbots endgültig abschlägig beschieden:

„Der Träger einer Privatschule fördert mit dem Schulbetrieb nicht die Allgemeinheit, wenn die
Höhe der Schulgebühren auch unter Berücksichtigung eines Stipendienangebots zur Folge hat, dass
die Schülerschaft sich nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt. Urteil.; BFH 26.5.2021,

V R 31/19; SIS 21 14 69.“ In der Begründung des BFH heißt es weiter (auszugsweise):

 

 „Ziffer 11: Die Tätigkeit der Klägerin sei nicht darauf gerichtet, die Allgemeinheit zu fördern, weil sie gegen das Verbot einer Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern verstoße und sich nur an einen kleinen, sehr abgegrenzten Personenkreis richte. Eine Tätigkeit, die mit der im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommenden objektiven Werteordnung nicht vereinbar sei, stelle keine Förderung der Allgemeinheit dar.

Ziffer 14: Eine Förderung der Allgemeinheit könne nicht allein wegen des von der Schulbehörde bejahten besonderen öffentlichen Interesses an einer internationalen Ergänzungsschule angenommen werden. Die Höhe der Schulgelder führe dazu, dass nur ein sehr kleiner Kreis wohlhabender Eltern und deren Kinder gefördert würde. Die Zahl der einkommensunabhängig beschulten Schüler, bei der die sog. Firmenzahler nicht zu berücksichtigen seien, betrage nur ca. 10 % der Schüler. Damit fehle es an einer Förderung der Allgemeinheit, auch wenn zugunsten der Klägerin berücksichtigt würde, dass sie nicht öffentlich gefördert werde und daher mit ihrem Schulangebot die Allgemeinheit entlaste. Ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an einer internationalen Privatschule mit der Unterrichtssprache Englisch könne de lege lata nicht dazu führen, dass die Klägerin trotz der sehr hohen Schulgebühren als gemeinnützig anzuerkennen sei.

Ziffer 25: Die Werteordnung des GG missbillige eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern. Eine Tätigkeit, die damit nicht vereinbar sei, sei keine Förderung der Allgemeinheit..."
(
https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110179/).

 

Die GEW-Wiesbaden-Rheingau wird auch weiterhin dafür eintreten, dass dieses „missachtete
Verfassungsgebot“ (Wrase et al.) endlich auch in der Realität von Privats-schulen und Hochschulen
ankommt.

Im Übrigen würde sich diese Thematik trefflich für eine öffentliche Anhörung z.B. im Hessischen

Landtag anbieten, zumal da die Interessen der Finanzierung (und der Maßstäbe derselben) gut abgeglichen werden könnten mit dem vermeintlich gestiegenen Finanzierungsbedarf der Privat-und Ersatzschulen. 

Die GEW-Wiesbaden-Rheingau erwartet vom Hess. Kultusminister Lorz und von der Hessischen Landesregierung, dass - gerade auch vor dem Hintergrund des BFH - Revisionsurteils vom Mai 2021 -zunächst bei ALLEN hessischen Privatschulen überprüft wird, inwieweit diese Privatschulen überhaupt gemeinnützig tätig sindUND… das beinhaltet besonders, ob sie sich an das Grundrecht des Sonderungsverbots halten, BEVOR die hessische Landesregierung an eine Novellierung des betreffenden Gesetzes denkt.

ALLES MUSS AUF DEN TISCH,
bevor weitere finanzielle Zugeständnisse an Privatschulen im Gesetz verankert werden.

Mit Erlass vom September 2015 hatte übrigens die Hess. Landesregierung verfügt,

 dass Privatschulen im Hinblick auf die Einhaltung des Sonderungsverbots im dreijährigen Turnus

überprüft werden müssen.

Die GEW fragt: Was ist aus diesen  Überprüfungen geworden…wie sehen die Ergebnisse aus…

wurden die o.a. Wissenschaftler des WZB  dabei konsultiert?

Aus heutiger Sicht geht die GEW-Wiesbaden-Rheingau weiterhin  davon aus, dass sich an der Einschätzung der  WZB-Wissenschaftler  (Studie 2017) im Hinblick auf die Überprüfungspraxis

in Hessen nichts geändert hat….hier besteht dringender Handlungsbedarf, hier muss

unbedingt umgedacht werden.

Immerhin ist dieses Sonderungsverbot ein VERFASSUNGSGEBOT

 

Weitere Infos finden Sie auf unserer homepage: gew-wiesbaden.de
Für Nachfragen stehen wird gern zur Verfügung.