Digitalisierung gescheitert

Stadt Wiesbaden nimmt kein Geld in die Hand für ein Videokonferenzsystem für alle Schulen

Presseerklärung vom 02.12.2020

Die aktuelle Pandemiesituation hat eines deutlich zu Tage treten lassen: Schulen brauchen eine sichere, unabhängige und zuverlässige Infrastruktur zur digitalen Kommunikation von Schüler*innen und Eltern - aber auch innerhalb der Lehrer*innenschaft. Diese Erkenntnis besteht mindestens seit den ersten Schulschließungen im März.

Entgegen der im Artikel im Wiesbadener Kurier vom 02.12.2020 dargestellten Sichtweise, dass es nicht am Geld scheitere, stellt sich dies offenbar gänzlich anders dar, wenn es darum geht, den Schulen ein datenschutzkonformes Videokonferenzsystem zu Verfügung zu stellen. 

 

Nach 9 Monaten muss nun die Stadt Wiesbaden eingestehen, dass es nicht gelungen ist, den Schulen ein zuverlässiges und datensicheres Videokonferenzsystem zur Verfügung zu stellen. Das eigene BigBlueButton-Angebot ist zu schwach aufgesetzt worden. In einem Schreiben vom 25.11.2020 an alle Schulen musste die Stadt schließlich ihr Scheitern öffentlich eingestehen. Besonders unschön ist, dass man hierzu das Medienzentrum gegenüber den Schulen instrumentalisiert.

 

Das Signal an die Schulen ist eindeutig und fatal: Die Stadt Wiesbaden ist kein verlässlicher Akteur bei der Digitalisierung in Schulen. Dieses Scheitern wird in der Wiesbadener Schullandschaft noch lange in Erinnerung bleiben und das Vertrauen in den Schulträger nachhaltig schmälern. 

 

Für die GEW Wiesbaden-Rheingau ist unverständlich, warum die Stadt mit Hilfe der eigenen Beteiligungen an der WITCOM seit Monaten nicht in der Lage ist, die digitale Infrastruktur für Schulen zuverlässig aufzubauen. Bei der Digitalisierung der Schulen handelt es sich um eine absehbar langfristige Herausforderung, die von der Stadt Wiesbaden als Schulträger offensichtlich nicht mit der notwendigen Ernsthaftig- und Nachhaltigkeit betrieben wird.

Diese städtische Untätigkeit führt nun vermutlich dazu, dass Kinder und Jugendliche in unseren Schulen in fragwürdige, oft US-amerikanische Datenverarbeitungen (sogar mit ihren biometrischen Daten wie Gesichtern) gezwungen werden. Die Konsequenzen werden dann nicht zu übersehen sein: Es handelt sich vielmehr um ein strukturelles Versagen der Stadt, das Kinder und Jugendliche mit Eingriffen in ihr Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung nun teuer bezahlen müssen. 

 

Der Stadt Wiesbaden selber ist das Aufstocken oder das Anmieten zusätzlicher Kapazitäten selbst im Angesicht des Scheiterns offensichtlich kein Geld und keine Anstrengung wert. Wie in der Ausschusssitzung Schule, Kultur und Städtepartnerschaft vom 26.11.2020 deutlich wurde, lässt man die Schulen in dieser herausfordernden Zeit nunmehr alleine, zieht sich aus jeder weiteren Unterstützung zurück und fordert diese sogar auf, sich selbst darum zu kümmern - mit all den Aufgaben der Prüfung, Beschaffung und eines datensicheren Betriebs, was eigentlich originäre Schulträgeraufgaben sind.

Für geringe, vierstellige Eurobeträge ist es möglich, monatsweise Kapazitäten für fünfstellige Nutzerzahlen zu mieten. Auch die Integration in die allen Lehrkräften bereits zur Verfügung stehende Edu-Pool-Plattform ist für weniger als 1000€ für das ganze restliche Schuljahr möglich. Dies wird in anderen Schulträgerbezirken mit Hinweis durch Medienzentren – auch unterstützt mit Landesmitteln – bereits genutzt. Das Aufrüsten eines bestehenden, bereits vor Monaten erkennbar zu schwach dimensionierten Systems dürfte kaum teurer sein.

 

Daher hat die GEW Wiesbaden-Rheingau zunehmend den Eindruck, dass zu Unwillen und planerischem Unvermögen womöglich sogar politische Intention hinzukommt. Denn die Situation, die man herbeiführt und nicht zu lösen bereit ist, führt automatisch dazu, dass die großen Digitalkonzerne „leichtes Spiel“ mit den in Not befindlichen Schulen haben. Diese locken mit Marketing, Lobbyismus und den Markt strategisch unterbietenden Angeboten (teils sogar in Form von Schenkungen) in die eigenen Systeme. Damit verliert das staatliche Schulsystem weiter seine digitale Souveränität und gerät immer stärker in die Abhängigkeit der Konzerne. Die Schulen aus dieser Abhängigkeit wieder zu befreien wird noch weit über die Pandemiezeit hinaus sowohl beim Schulträger als auch den einzelnen Schulen erhebliche Anstrengungen und Kosten einer erneuten Umstellung verursachen.

 

Kontaktmöglichkeiten

Kreisvorsitzenden-Team:
Johanna Browmann und Christoph Hahn

info@gew-wiesbaden.de

Tel. 0611-406670