Willkommen beim Wiesbadener Sanierungsroulette

Oder: Ist denn hier schon Absurdistan?

26.01.10: Runder Tisch der GEW Wiesbaden zum Thema Sanierungsstau an Wiesbadener Schulen
Die GEW hatte eingeladen, Schulleiter Bernhard Hofbeck (Comeniusschule) hatte die Schulaula zur Verfügung gestellt. Zum Glück, denn viele kamen.

VertreterInnen der maroden Schulen sowie VertreterInnen des Stadtschülerrats, Elternvertreter (Stadt- und Landeselternbeirat) und Stadtverordnete von SPD, Grünen und Linker Liste.

Eingeladen waren auch OB Dr. Müller und Schuldezernentin Frau Scholz. Aber beide entschuldigten sich wegen anderweitiger Verpflichtungen. Dabei war das, was kam, nun ganz besonders für ihre Ohren bestimmt. Dieselben müssen ihnen geklungen haben angesichts der nicht enden wollenden Mängelliste. Hätte ein zeit –und ortsunkundiger Lauscher mitgehört, wäre er wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass  entweder von der Nachkriegszeit oder von einem strukturell unterentwickelten Landstrich die Rede sein müsse. Dass es sich jedoch um Hessens Landeshauptstadt handelt, hätte er sicher nicht vermutet.

Herr Hofbeck eröffnete die Vorstellungsrunde. Seit 15 Jahren kämpft die Schule um einen Neubau, nichts ist bislang passiert. Efeuranken schlängeln sich durch undichte Fensterrahmen und bei Regen wird’s in manchen Räumen feucht, wegen undichter Wände und Decken. Bei einer Ortsbegehung hatten Frau Scholz (Schuldezernentin)  und Herr Dietz (Dezernatscontroller) auch keine Lösungen parat, außer den Gebrauch einer Gartenschere und Verschenken von Ablegern zu empfehlen. Nach und nach wurde die Mängelliste immer länger: modrige Bodenbeläge, Schimmelbefall, gesperrte Räumen und ganze Stockwerke, Container ohne Wasseranschluss, abgestützte Decken und, und, und.

Landeselternbeirätin Geis fasste die Zustände punktgenau zusammen: Das ist ein Skandal – und versprach das Gesundheitsamt umgehend zu informieren.

Planlosigkeit und Murks, so kennzeichnete Stadtelternbeirat Hanke das Verhalten des Magistrats, insbesondere des Hochbauamtes. Es bleibt alles beim Alten und das kostet auch noch einen Haufen Geld. Aber angeblich hat Frau Scholz gar keines mehr. Bestes Beispiel für die Absurditäten: Zwei Jahre sind seit dem Brand in der Niemöller-Schule vergangen. Die Schüler hat man in ein anderes (zu mietendes und ungeeignetes) Gebäude gesteckt und wegen der Zeitvergeudung  bei der Planung und dem Hinauszögern des Baubeginns - auch durch das Hochbauamt -  hat die Versicherung jetzt ihre Zahlungen (z. B. von Miete) eingestellt. Das kostet! Denn die Ruine wird, damit nicht mehr Schäden entstehen, obendrein auch noch beheizt.

Die Verwirrung wird komplett, indem die Stadt die Ranglisten (nach Dringlichkeit) der Schulen immer wieder ändert und Versprechungen macht: Mal wird bald gebaut, mal wieder nicht, dann erst später. Trifft der Magistrat denn seine Entscheidungen beim Würfelspiel oder doch am Roulettetisch? Die Spielbank ist ja ganz in der Nähe.

Manche Stadtverordnete ergehen sich in mystischen Äußerungen wie die Grüne Rita Thies in der Niemöller-Schule: Meine Aussagen gelten solange, bis ich wiederkomme und etwas Anderes sage.

Das haben wir bereits mitgekriegt, sagt Stadtschülersprecher Martin Seeger: Erst wurden uns für den Neubau eine Mensa und Fachhörsäle versprochen; inzwischen redet Frau Scholz nur von einem Projekt, das eins zu eins dem ursprünglichen Gebäude entspricht.

Und immer wieder das Gejammer wegen fehlender Geldmittel. Hartmut Bohrer (Linke Liste) brachte es auf den Punkt: Die Schulden sind hausgemacht, u.a. durch die Steuerpolitik. Der Stadt fehlen rund 100 Mill. durch den Wegfall von Gewerbe-  und Körperschaftssteuern. Das kann man auch gründliche Misswirtschaft nennen , hergestellt durch parteiische Parteipolitik. 

Die Forderungen der Versammlung fasste Diskussionsleiter Michael Zeitz (GEW) im Klartext zusammen:

  • Prioritätenliste für die betroffenen Schulen mit verbindlichem Zeitplan
  • Beschleunigung des Vorgehens durch Bereitstellen zusätzlicher Geldmittel ; gegebenenfalls durch Mehrverschuldung
  • Ende des Dilettantismus seitens der Behörden
  • Mehr Professionalität

Ließe sich eine gute Fee anheuern, so bäte man sie um Weisheit, Gerechtigkeit und Entschlusskraft für die Stadtverordneten.

In aufgeklärten Zeiten hält man es vielleicht lieber mit dem Philosophen John Rawls , dessen Theorie der Gerechtigkeit und seinem berühmten Gedankenexperiment , das auch für die Praxis einer gerechten Verteilung geeignet ist: Die Vertragspartner befinden sich bei Rawls in einem hypothetischen Urzustand, der durch einen Schleier des Nichtwissens gekennzeichnet ist. In dieser angenommen Situation wird über Gerechtigkeitsprinzipien entschieden, die der realen Gesellschaftsordnung zugrunde liegen sollen. Die Entscheidungsträger (!) wissen aber nicht (!), an welchen Stellen (!) dieser zu bestimmenden Ordnung sie sich selbst (!) befinden werden. Durch diese neutrale, anonymisierte Entscheidungssituation soll sichergestellt werden, dass die gewählten Gerechtigkeitsprinzipien in einem fairen Verfahren (kein Roulette!!) zustande kommen.

Und bedenkt noch: Ein Museum, kann man, wenn man will, besuchen. In die Schule, und ist sie ein noch so unwirtlicher Ort, muss man – qua Gesetzeskraft – gehen. Deshalb gilt: Dort ein angemessenes Ambiente zu schaffen und zu erhalten ist auch ein Gebot der Fairness.