Frauenquote hoch = Lohnquote runter?

Rede zum 1. Mai 2017 in Wiesbaden

von Christine Dietz und Manon Tuckfeld, GEW Wiesbaden-Rheingau

Sprecherin 1 (Sp1): Der Fortschritt ist unaufhaltsam. Sprecherin 2 (Sp2): Der Fortschritt ist eine Schnecke.

Sp1: Immer mehr Frauen im Schuldienst. Sp2: Immer weniger Bezahlung .

Sp1: Immer mehr Frauen in der Wissenschaft. Sp2: Immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen.

Sp1: Jetzt mal langsam: Bildungsberufe = Frauenberufe. Sp2: Frauenberufe = schlechtere. Arbeitsbedingungen

Sp1: Frauenarbeit = traditionell Carearbeit (Sorgearbeit). Sp2: Carearbeit = traditionell unbezahlte Arbeit.

Sp1: Frauenquote hoch. Sp2: Lohnquote runter.

Sp1: Es gibt die historisch gewachsene Trennung der Arbeitsbereiche in produktiv und reproduktiv. Sp2: Was heißt denn das?

Sp1: Ja, das ist eben die Frage ... Sp2: Produktiv ist nicht immer Produkt. Produktiv ist auch Dienstleistung, auch Carearbeit. Reproduktiv ist, wenn dafür gesorgt wird, dass andere und man selbst auch produktiv sein kann, also auch Carearbeit. Der einzig wirkliche Unterschied ist, dass die eine Arbeit als Erwerbsarbeit anerkannt ist und bezahlt wird, die andere nicht.

Sp1: Der Graben verläuft also nicht entlang der Geschlechterlinie, sondern über den Arbeitsbegriff. Sp2: Stimmt nicht, in der Regel reproduziert sich der Arbeitsbegriff über die Geschlechter. Sichtbar in der strukturellen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben. Der diesjährige „Equal Pay Day“ machte es wieder deutlich: Frauen verdienen 21 Prozent weniger als Männer. Im exakt gleichen Beruf und in gleicher Position sind es immer noch 6 Prozent.

Sp1: Konkret im Schuldienst: Grundschullehrer_innen verdienen 13 Prozent  weniger als alle anderen Lehrämter und Grundschulstudierende sind überwiegend weiblich. Die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein begründet das Beibehalten der schlechteren Bezahlung trotz gleichlanger Ausbildung für Grundschullehrer_innen, damit, dass diese nicht direkt auf den Beruf vorbereiteten, mehr pädagogisch statt fachwissenschaftlich arbeiteten. 

Sp2: Ist Pädagogik keine Wissenschaft? Sp1: Anscheinend nicht. Pädagogik beschäftigt sich als Forschungsgegenstand mit dem traditionell weiblichen Bereich der kindlichen Erziehung und Bildung. Wer Augen hat, der sehe. Wer Augen hat, sieht die strukturelle Diskriminierung. Aktuelles Beispiel: Hessen hat ein sogenanntes Fortbildungsprogramm aufgelegt, um dem Lehrkräftemangel an Grundschulen zu begegnen. Hier sollen ausgebildete Gymnasiallehrkräfte in Grundschulen eingesetzt werden. Ohne jede spezifische Grundschulqualifikation vom ersten Tage ihres Einsatzes an - über 20 Stunden pro Woche im Unterricht. Das allein schon ist ein Armutszeugnis der Landespolitik. Aber der eigentliche Skandal wird deutlich, wenn wir das Ganze mal umdrehen: Stell dir vor, Grundschullehrer_innen sollten vom ersten Tag an Schüler_innen am Gymnasium unterrichten. Da ginge das Geschrei los.  

Sp2: Als GEW-Vertreterinnen stellen wir fest: Die Anforderungen zwischen den Lehrämtern sind durchaus unterschiedlich – es muss tatsächlich Unterschiedliches gelernt und angewendet werden - aber gleichwertig. Wir fordern A 13 für alle! Doch auch der ganze Schuldienst, der ganze öffentliche Dienst wird weiblicher und in Summe schlechter bezahlt - von der Entwicklung der Löhne in der Gesellschaft abgeschnitten ...

Sp1: … abgeWERTet! Und die immer gleiche Antwort kennen wir nur allzu gut: Nullrunden unter dem vorgeschobenen Argument leerer Staatskassen! Sp2: Wir als Gewerkschaften müssen endlich die strukturelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts als sichtbares und unüberhörbares Argument in unseren Arbeitskampf einbringen! 

Sp1: Und die „gläsernen Decken“? Mehr Mädchen als Jungen machen Abitur, es studieren mittlerweile mehr Frauen als Männer und mehr Frauen als Männer erreichen Universitätsabschüsse. Sp2: Trotzdem ist nur ein Bruchteil der C4-Professuren mit Frauen besetzt. Und auch im immer weiblicher werdenden Schuldienst sind überproportional viele Schulleiter_innenstellen mit Männern besetzt.

Sp1: Die Landesgleichstellungsgesetze schreiben doch einen Frauenanteil vor. Sp2: Ja, aber die Landesgleichstellungsgesetze gelten derzeit nicht flächendeckend für alle Einrichtungen z.B. nicht für alle Hochschulen. Außerdem ist eine Zielquote von 50% in Leitungspositionen nicht repräsentativ beispielsweise für Grundschulen, die einen Frauenanteil von 90 Prozent haben.

Sp1: Naja, immerhin nimmt sich die Landeshauptstadt Wiesbaden, allen voran Oberbürgermeister Gerich, der Frauenförderung an: Kürzlich lud er Mädchen am Girls‘ Day ins Rathaus ein, um mit ihnen Pizza zu essen und sie für Politik zu erwärmen. Sp2: Nur leider bekommen es auch SPD und Grüne trotz paritätischer Sitzverteilung in der Stadtverordnetenversammlung nicht hin, einen 100% männlichen Magistrat zu verhindern. Bei der CDU sehen wir diesbezüglich sowieso schwarz. Rollback im Jahr 2017! Und um uns an die eigene Nase zu fassen: Auch die GEW, deren Mitglieder zu über 2/3 Frauen sind, schafft es nicht, diesen Geschlechterproporz in ihrem Hauptvorstand abzubilden und wird dies in der nächsten Woche beim GEW-Bundesgewerkschaftstag aller Voraussicht nach nicht ändern können.

Sp1: Die Frage ist doch, warum immer besser ausgebildete Frauen sich mit immer schlechteren Arbeitsbedingungen abspeisen lassen? Hohe Teilzeitquoten, oft auch gegen den eigenen Willen, (z.B. im KiTa-Bereich) sorgen häufig für Benachteiligung bei der Bezahlung oder bei Aufstiegschancen.  Selbst gewählte Teilzeit, um die unbezahlte Familienarbeit besser leisten zu können, ist nach wie vor vorwiegend Frauensache. Sp2: Dafür gibt es doch Eltern- und Pflegegeld (und wie hieß noch gleich die CDU/CSU-Herdprämie?- Betreuungsgeld). Hier wird Care-Arbeit doch endlich auch vom Staat gesehen und monetär wertgeschätzt.

Sp1: …Willkommen im Dilemma: Ja, die Care-Arbeit wird gesehen, ABER unter den jetzigen Bedingungen werden v.a. Frauen wieder in die traditionelle Rolle gedrängt, die Familienarbeit zu leisten. Dort droht, außer einem fast schon überwunden geglaubten Geschlechterstereotyp der dienenden Frau. Sp2: ... und durchaus dienlichen Lösung für den Reproduktionsbereich. Sp1: ... der Verlust der sozialen Absicherung im Alter! Denk mal unter diesen Voraussetzungen das bedingungslose Grundeinkommen. Wer würde sich begnügen mit diesem Grundeinkommen? Meine These: vor allem Frauen

Sp2: Aber denk doch an die Vielen, die nicht mehr beim Amt  anstehen müssen für ihr Hartz IV; an die entwürdigen Besuche der Amtsleute, die im Zweifelsfall Mülleimer durchwühlen, um zu klären, wer in der Wohnung wohnt. Sp1: Richtig, das ist bedenkenswert! Auch richtig, dass nicht nur Wert hat, was Wert schafft. Wenn das Wert schaffende Arbeitsleben vorbei ist, sind die Folgewirkungen von struktureller Geschlechterdiskriminierung nämlich noch lange nicht vorbei. Denken wir an den Verlust der sozialen Absicherung von Frauen im Alter! Sp2: Altersarmut ist weiblich! Im vergangenen Winter hatte der DGB mit seiner großen Kampagne „Rente muss reichen – auch für Frauen“ darauf aufmerksam gemacht.

Sp1: Aber wo ist die Gewerkschaft sonst in der Frauenpolitik? Sp2: … Gewerkschaften organisieren traditionell bezahlte Erwerbsarbeit. Eine Gewerkschaft, die Frauen ernsthaft vertreten will, braucht eine Diskussion über den Arbeitsbegriff.

Sp1: Nicht nur das! Sp2: Eine Gewerkschaft, die Frauen ernsthaft vertreten will, braucht eine Diskussion über andere Formen des Arbeitskampfes!

Sp1: Ein bisschen ziviler Ungehorsam? Sp2: Denkbar!                                               

Sp1: Zusammenarbeit in Streikkomitees? Sp2: Zwingend: Drohpotenzial entfaltet sich nicht, wenn der Arbeitgeber von einem Streik finanziell profitiert. Schnell werden die Streikenden zu roten Tüchern für die getroffene Allgemeinheit. Denken wir an den Streik der  Sozialpädagog_innen und Erzieher_innen 2015. Dies hätte im Vorfeld mit Eltern geplant werden müssen, damit Eltern Verbündete bleiben und nicht zu Gegnern werden. Die Gewerkschaften müssen sehr genau überlegen, welche Kampfformen sie wählen, damit der Druck auf den Richtigen ausgeübt wird.

Sp1: Eine Gewerkschaft, die Frauen ernsthaft vertreten will, braucht Strukturen, die mehr echte Partizipation ermöglichen! Gewerkschaften sind nicht von der Aufgabe entbunden, Frauenpolitik mitzudenken und Frauen aus ihrer dienenden Rolle zu befreien. Vielmehr ist von Gewerkschaften zu erwarten, dass diese sich kritisch selbst zur fehlenden Frauenteilhabe befragen und funktionierende Strukturen schaffen, die Partizipation ermöglichen ... Sp2: Durch Doppelspitzen, Team-Vorsitz, Frauenquoten, Mentoring, Kinderbetreuung ...

Sp1: Diese gemeinsame Rede hier nach dem Kollegialitätsprinzip ist heute der Impuls der GEW, um Gesellschaft und Gewerkschaft gemeinsam weiter. Sp2:  und weiblicher ... Sp1: zu denken.

Sp2: Wir sind viele! Viele, die unter dem Lohndiktat leiden. Sp1: Viele, bei denen die Gehaltserhöhung durch die Inflation aufgefressen wird. | Sp2: Viele, die für ihre Arbeit gar nicht bezahlt werden.

Sp1: Viele, die erst gar nicht in den Arbeitsmarkt gelassen werden. Sp2: Viele, die endlich zusammen kämpfen müssen!

Sp1 und Sp2: Wir sind viele - Wir sind eins!