„Finger weg von jeder Regelung, die die Tarifautonomie einschränkt ...

Wir wollen nicht, dass das Streikrecht berührt wird ...“

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Tarifeinheit“ und Verhalten wichtiger Repräsentanten des DGB schreibt der GEW Kreisvorstand Wiesbaden an den Bundesvorsitzenden des DGB, Reiner Hoffmann

Wiesbaden, 10.11.2014

Lieber Kollege Hoffmann,

mit der für die Gewerkschaften so zentralen Frage der Tarifeinheit haben wir als Kreisvorstand Wiesbaden der GEW uns wiederholt beschäftigt. Nach dem letzten Bundeskongress des DGB waren wir zu der Auffassung gelangt, dass eine von uns befürchtete gesetzliche Regelung zur „Tarifeinheit“ durch die Bundesregierung wohl nicht mehr anstehe. Jetzt haben sich unsere Befürchtungen in dramatischer Weise bestätigt: Am Donnerstag der vergangenen Woche, am 30.10.2014, hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen entsprechenden Gesetzentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt.

Was den Text des Entwurfes angeht, sind wir auf die Berichterstattung in der Presse angewiesen. Es interessiert ein einziger Satz: Bei Nichteinigung zwischen mehreren Gewerkschaften in einem Betrieb „soll das Recht auf Tarifabschluss bei derjenigen (Gewerkschaft) liegen, die die meisten Mitglieder hat.“ (zit. nach „Frankfurter Rundschau“, 1.11.2014).

Dieser Satz kann bei der mangelnden Präzision der Berichterstattung in den Medien so aufgefasst werden, dass nur die insgesamt stärkste Gewerkschaft tariffähig wäre, bei der Deutschen Bahn mithin die EVG. Gemeint ist aber wohl etwas anderes: Tariffähig wäre innerhalb des Betriebes immer die Gewerkschaft, die in einem bestimmten Bereich die meisten Mitglieder organisiert. Das wäre bei der Bahn für die Lokführer die GDL, für das Fahrpersonal derzeit noch die EVG. Diese Regelung träfe in anderen Fällen die DGB-Gewerkschaften auf dieselbe Weise: In Ostdeutschland sind die meis- ten Krankenhausärztinnen und –ärzte im Marburger Bund organisiert. Tariffähig wäre dieser Bund, nicht die Gewerkschaft Ver.di.

Der Gesetzentwurf kann von uns nicht hingenommen werden, weil er in das Koalitionsrecht und mittelbar in das Streikrecht eingreift.

In das Koalitionsrecht wird eingegriffen, weil das „Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden ...“ (Artikel 9 Grundgesetz) tangiert ist. Es hätte keinen Sinn mehr, der GDL als Zugbegleiter beizutreten, wenn jene nicht mehr verhandeln und einen Tarif durchsetzen könnte. Damit wird auch in das Streikrecht eingegriffen, denn die GDL könnte entsprechend angelegte Arbeitskämpfe nicht mehr führen. Koalitionsrecht und Streikrecht wären für Zugbegleiterinnen nur voll gültig, wenn sie der EVG beiträten oder ihr angehörten. Ob das eine geeignete Art der Mitgliedergewinnung ist, lassen wir dahingestellt.

Am Rande sei erwähnt, dass die Bundesregierung mit dem Entwurf juristisches Neuland betritt – in einer für Gewerkschaften gefährlichen Weise. Alle Regelungen zum Streikrecht in der Bundesrepublik sind aus Richterrecht abgeleitet. Ein Gesetz zur Regelung des Streikrechts haben die Gewerkschaften immer abgelehnt. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden die Gewerkschaften immer wieder einmal von rechts mit einem „Verbändegesetz“ bedroht, welches Bestimmungen zum Streikrecht hätte treffen sollen. Bisher ist es bei der Drohung geblieben – jetzt will eine Bundesregierung ausgerechnet mit SPD-Beteiligung so etwas auf den Weg bringen.

Damit sind wir beim zweiten Punkt. Insbesondere das Verhalten des DGB-Bundesvorstandes in der Frage des Gesetzentwurfes muss deutlich kritisiert werden. Zum einen weicht der Bundesvorstand von der geltenden Beschlusslage zur Tarifeinheit ab, wie sie seit dem letzten Bundeskongress des DGB gültig ist. Der Beschluss des Bundeskongresses hat vielleicht eine Möglichkeit offengehalten, sich doch noch mit einer gesetzlichen Regelung anzufreunden. Im Zentrum stand aber, dass der DGB seine Probleme mit den „Spartengewerkschaften“ aus eigener Kraft lösen wollte, Tarifeinheit sollte von unten geschaffen werden. Jetzt gilt das nicht mehr, jetzt ist der Gesetzentwurf da. Wir können uns nicht vorstellen, dass der DGB-Bundesvorstand davon vollkommen überrascht worden ist, wir gehen davon aus, dass der Entwurf zuvor zwischen Frau Nahles und dem DGB-Vorstand „abgestimmt“ worden ist. Es ist so ähnlich wie bei der DGB-Position zum Freihandelsabkommen TTIP. Erst war der DGB-Kongress gegen TTIP, jetzt, nach „erfolgreichen Gesprächen“ mit Sigmar Gabriel, ist „der DGB“ für TTIP. Das dröhnende Schweigen des DGB-Bundesvorstands zu dem Gesetzentwurf von Frau Nahles spricht für sich. Wir sehen eine lange Tradition der Unterordnung der DGB-Gewerkschaften unter Regierungen aller Art, namentlich natürlich mit SPD-Beteiligung.

Die Einzelgewerkschaften verhalten sich momentan unterschiedlich. Ver.di hat offensichtlich die am deutlichsten ablehnende Position, ähnlich ablehnend äußerte sich die Vorsitzende der NGG, Michaela Rosenberger. Das verwundert nicht weiter – beide Gewerkschaften haben es mit Organisationsbereichen zu tun, in denen eine erfolgreiche Organisierung oft sehr schwierig ist. Auf ein Beispiel für Ver.di haben wir schon hingewiesen. Die IG Metall ist – wenn die Berichterstattung zutrifft und zu unserer großen Bestürzung – für eine gesetzliche Regelung. Dagegen hat sich der stellvertretende Vorsitzende der EVG, der Kollege Klaus-Dieter Hommel, dem „Focus“ gegenüber deutlich gegen die entsprechenden Regelungen ausgesprochen: „Finger weg von jeder Regelung, die die Tarifautonomie einschränkt ... Wir wollen nicht, dass das Streikrecht berührt wird ...“ Wir können nur hoffen, dass sich genügend Gewerkschaften, Gremien und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter finden, die dafür sorgen, dass die Regierung ihren unsäglichen Entwurf wieder einkassiert.

Im Zusammenhang mit dem Entwurf zur Tarifeinheit muss auf die ebenfalls unsägliche mediale Hetze gegen die GDL hingewiesen werden. Sie wird permanent in fast allen Medien geführt und ist in einer Weise „einheitlich“ in der automatischen Abspulung immer derselben „Aussagen“, dass man schlimmste Assoziationen bekommt. Auf die Frage, warum alle Moderatoren und Sprecherinnen und alle Journalistinnen und Verfasser unisono dieselben Worte vorbringen („Machtkampf“, „Machtkampf“), verweisen Journalisten und Journalistinnen selbst darauf, dass es sich im postmodernen und neoliberalen Diskurs um das „Wording“ der Nachrichtenagenturen und der „Qualitätszeitungen“ handele, dem sie folgten. Das erklärt uns die Uniformität der verbreiteten Meinung – Wording, ein schönes neues Wort für Sprachregelung.

Es ist deshalb scharf zu verurteilen, wenn sich wichtige Vertreter des DGB an dieser Hetze beteiligen. Der Streikstrategie der GDL stündest Du sehr „sehr skeptisch“ gegenüber, hast Du als DGB-Vorsitzender am 4.11.2014 dem „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF erklärt – rechtzeitig vor Beginn der für den 5.11. oder 6.11.2014 angesetzten neuen GDL-Streiks. Während die letzte Streikphase der GDL gerade lief, verstieg sich der – oben so positiv zitierte – Kollege Klaus- Dieter Hommel in demselben Fernsehmagazin zu der Äußerung, es handele sich „um keinen Streik im eigentlichen Sinne“ und griff die Metapher vom „Machtkampf“ auf.

Dabei täten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gut daran, sich an die Hetze zu erinnern, die vor 30 Jahren die DGB-Gewerkschaften erfahren mussten. 1984 versuchten die IG Metall und die damalige IG Druck und Papier, mit wochenlangen Streiks einen Einstieg in die 35-Stundenwoche durchzusetzen. Die damalige Hetze gleicht der heutigen fast bis aufs Wort, nur dass es vor dreißig Jahren noch nicht die Möglichkeit gab, per Mausklick allen die gleichen Statements auf die Bildschirme oder die Teleprompter zu spielen.

Die IG Druck und Papier etwa wurde als kleine Organisation hingestellt, die sich an dem Grundrecht auf Pressefreiheit vergreife. Die paar Drucker unterdrückten die Meinungsfreiheit. Heute nähmen sie wahrscheinlich die Grundrechte in „Geiselhaft“. Von dem damaligen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) musste sich die Gewerkschaft als „IG Druck und Zensur“ bezeichnen lassen. Den Arbeitskampf der IG Metall – den härtesten Streik in der Geschichte der Bundesrepublik – bezeichnete Lambsdorffs Chef, der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), öffentlich als „absurd, töricht und dumm“.

Damit ist klar, dass man im Moment zwar auf die GDL eindrischt, aber den DGB, seine Gewerkschaften und das Grundrecht meint. Eine Beteiligung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern an solchen medialen Einheitskampagnen ist schlicht und einfach unmöglich. Den Gesetzentwurf der Bundesarbeitsministerin, der im Schutz dieser massiven Medienoffensive in Stellung gebracht worden ist, lehnen wir ab.

Mit kollegialen Grüßen