DGB und GEW fordern:

eine Prüfstelle für Unterrichtsmaterialien

In ihrem Beschluss „Wirtschaft in der Schule“ haben der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die politisch Verantwortlichen aufgefordert, dem zunehmenden Lobbyismus an Schulen und dem längst undurchsichtigen Dschungel von Unterrichtsmaterialien, vor allem aus der Finanz- und Wirtschaftsbranche, Einhalt zu gebieten. Diese Forderung haben DGB und GEW nun in einem gemeinsamen Schreiben an die KMK und die Kultusministerien gerichtet. Wir würden uns freuen, wenn wir für diese Forderung Ihre und eure aktive Unterstützung bekämen.

Für Fragen stehen wir gern zur Verfügung.
Jeanette Klauza, DGB-Bundesvorstand, Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin, Telefon: 030 - 2 40 60 648, Telefax: 030 - 2 40 60 41, jeanette.klauza@dgb.de, www.dgb.de, www.schule.dgb.de
Martina Schmerr, GEW-Hauptvorstand, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt/Main, Telefon: 069 - 78973322, Telefax: 069 - 78973101, martina.schmerr@gew.de, www.gew.de

Der DGB-Bundesvorstand hat im September dieses Jahres das Positionspapier „Wirtschaft in der Schule – Was sollen unsere Kinder lernen?“ beschlossen. Darin bringen die Gewerkschaften ihre Sorge darüber zum Ausdruck, dass Wirtschafts- und Finanzverbände, Privatunternehmen, Stiftungen, Vereine und sonstige Lobbygruppen in den letzten Jahren immer stärker versuchen, die Lerninhalte in allgemeinbildenden Schulen zu beeinflussen. (So war etwa ein Befund der Schulleiterbefragung im Rahmen der internationalen PISA- Studie, dass der Einfluss von Wirtschaft und Industrie auf die Inhalte und Lehrpläne in Deutschland vergleichsweise groß ist.) Die Ziele dieser Versuche, die teilweise gut vernetzt vonstatten gehen, sind unserer Beobachtung nach die Einführung eines einschlägigen Fachs Wirtschaft sowie eine Veränderung der Paradigmen bisheriger politisch-ökonomischer Bildung im Schulwesen. Hierfür haben die genannten Akteure passende Bildungsstandards und Standards für die Lehrerausbil- dung entwickelt. Parallel geben sie in großer Zahl zumeist kostenfreie Unterrichtsmaterialien heraus.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich ausdrücklich gegen ein zusätzliches bzw. monodisziplinäres Unterrichtsfach Wirtschaft aus, wie es von den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden gefordert wird. Ein solches Fach, das alle Bezugsdisziplinen ausspart, ist weder sinnvoll noch praktikabel. Es ist Aufgabe der allgemeinbildenden Schulen, Schülerinnen und Schüler umfassend zu bilden. Dies kann am besten durch eine sozioökonomische Bildung geleistet werden, die die verschiedenen Bezugsdisziplinen miteinander verzahnt und ökonomische Fragestellungen in Zusammenhang mit gesellschaftlichen, politischen oder ökologischen Aspekten behandelt.

Im Beutelsbacher Konsens haben sich die Unterzeichner mit dem Überwältigungsverbot, dem Kontroversitätsgebot und der Schülerorientierung auf drei unverzichtbare didaktische Prinzipien festgelegt, die uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen. Sie markieren die Grenze zwischen demokratischer politischer Bildung und Indoktrination. Dieser Konsens hat für den DGB weiterhin Gültigkeit.

Eine besondere Bedeutung misst der DGB der Vorbereitung junger Menschen auf die Berufs- und Arbeitswelt und ihre persönlichen Lebensplanung zu. Schülerinnen und Schüler sollen zu kritischer Urteilsbildung befähigt werden, um in einer von Interessensgegensätzen geleiteten Gesellschaft eigene Standpunkte finden und vertreten zu können sowie zu kritischer Partizipation und Mitbestimmung befähigt zu werden. Schülerinnen und Schüler sollen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als gestaltbar und veränderbar verstehen.

Neben der Entwicklung von Bildungsstandards für die allgemeinbildenden Schulen beobachten wir vor allem den Markt kostenfreier Lehrmaterialien mit großer Skepsis. Besonders Wirtschafts- und Finanzverbände, Firmen und Stiftungen tun sich hier hervor. Die Universität Augsburg hat jüngst – gefördert durch Mittel des Verbands Bildungsmedien e.V. – 880.000 Lehrmaterialien im Internet aufgefunden und beziffert die Dunkelziffern bei etwa 1 Millionen Materialien, die sich an Schulen und Lehrkräfte richten. („Bildungsmedien online“. Forschungsprojekt der Universität Augsburg. Siehe die Presse- meldung des vds bildungsmedien unter: http://www.bildungsmedien.de/presse/pressemitteilungen/pm2012/2012-10-11-pk-forschungsauftrag-augsburg-ii/ ) Den Urhebern der Studie sind dabei insbesondere die Unterrichtsmaterialien von umsatzstarken Unternehmen aufgefallen, die – in Aufmachung und Layout mitunter sehr eindrucksvoll – ihren Werbungscharakter kaum verbergen können.

Aufgrund der Bedarfslage an Schulen ist anzunehmen, dass die Materialien auf Interesse stoßen. „Für die Lehrkräfte, die kostenlose Materialien online oder als Download nutzen wollen, ist das ein unübersichtlicher Markt, bei dem nicht immer klar zu erkennen ist, welche – wirtschaftliche oder politi- sche – Intention hinter einem kostenlosen Angebot steckt“, so die Autoren der Augsburger Studie. Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat im Mai dieses Jahres anlässlich der Veröffentlichung ihres „Materialkompasses“ moniert, dass Unternehmen „offen oder versteckt für ihre Produkte und Dienstleistungen“ werben. Oft würden diese auch ihre Interessen „verstecken“, indem sie bestimmte Aspekte weglassen oder überbewerten. „Hier müssen Lehrer/-innen und Schulleitung besonders auf- merksam sein und sensibilisiert werden“, so die vzbv. (http://www.vzbv.de/cps/rde/xbcr/vzbv/2012_05_08-Hintergrundpapier-Materialkompass.pdf 2 )

So fielen zum Beispiel die Allianz-Materialien „My finance Coach“ durch eine schlechte Bewertung im Materialkompass auf. Dabei muss verwundern, dass ausgerechnet diese Materialien seit einiger Zeit offiziell in den öffentlichen Lehrerfortbildungsangeboten der Landesregierung Bayern Verwendung finden. Auch andere Materialien - besonders diejenigen für die „Finanzbildung“ - scheinen das Ziel zu verfolgen, das durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise gestörte Vertrauen in die Märkte und die Finanzindustrie wieder zu stärken ohne auch nur annährend die Ursachen der Krise und die zukünftigen Risiken zu behandeln. Diese immer vielfältigeren Versuche, den Bildungsauftrag von Schule und die Vorstellungen junger Menschen von der Wirtschaftswelt je nach Eigeninteresse beeinflussen zu wollen, sind aus Sicht des DGB nicht akzeptabel. Besonders kritisieren der DGB und seine Gewerkschaften, wenn einseitige Materialien von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen öffentlich gefördert oder durch behördliche Kooperationsverträge unterstützt werden.

Der „Kampf um die Köpfe“ ist bereits so weit vorangeschritten, dass die oben genannten Akteure eigene Schulmaterialien mit einem eigenen „Gütesiegel“ versehen. Damit soll Lehrkräften glauben gemacht werden, die Materialien seien von fachlicher und didaktischer Qualität und könnten bedenkenlos im Unterricht eingesetzt werden. Dieses Vorgehen kritisiert der DGB massiv, denn häufig sind Lerninhalte tendenziös und manipulativ. (Die Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT vergibt ein Gütesiegel für Schulbücher, die sich mit ökonomischer Bildung beschäftigen, ungeachtet ihrer Qualität. Das Siegel bekam u.a. das Schulbuch „Praxis Wirtschaft Profil“, herausgegeben von Prof. Hans Kaminski. Die Auszeichnung wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterstützt. http://www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen ,did=525320.html ) Die Kultusministerien und die KMK als schulpolitisch verantwortliche Instanzen tragen die Verantwortung dafür, dass sich Materialien, die für öffentliche Schulen bestimmt sind und dort angeboten werden, an die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens halten.

Die kostenfreien Materialien zu aktuellen Wirtschafts- und Finanzthemen – das trifft natürlich auch auf andere schulische Themen zu - werden keiner Qualitätskontrolle unterzogen, wie dies bei Schulbüchern durch das Zulassungsverfahren zumindest teilweise gewährleistet ist. Die Auswahl, Beurteilung und Verwendung bleibt also allein den Lehrkräften überlassen. Der Materialkompass der vzbv, der vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefördert wird, wurde daher von den Gewerkschaften begrüßt.

In dem DGB-Beschluss fordern die Gewerkschaften in einem ersten Schritt eine staatlich verantwortete Prüfstelle, die Fremdmaterialien auf ihre fachliche und didaktische Qualität hin prüft, sie auf der Grundlage festgeschriebener Qualitätsstandards bewertet und Empfehlungen für Lehrende und Lernende im Bildungsbereich ausspricht. Eine solche Stelle könnte etwa durch regelmäßige Stichprobenuntersuchungen oder auch auf Bedarf oder „Bewerbung“ hin tätig werden. Denkbar wären sowohl die Vergabe eines orientierenden, staatlich anerkannten Qualitätssiegels, das mit konkreten, offen kommunizierten Qualitätskriterien unterlegt ist ,als auch eine „rote Liste“, die Lehrmaterialien aufführt, die die festgelegten Qualitätskriterien unterlaufen.

Der DGB und seine Gewerkschaften sind gern zu Gesprächen über die genannten Probleme und mögliche Perspektiven bereit. Über das Thema der Bewertung von Lehrmaterialien hinaus wären wir sehr interessiert an einem Austausch über weitere Dimensionen des Themenbereichs, wie etwa die Qualität der Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft, Qualitätskriterien für die Bewertung von Materialien wie auch von Konzepten zu (sozio-)ökonomischer Bildung, die Verankerung (sozio-)ökonomischer Inhalte in der Lehrer/-innenausbildung oder auch über den Forschungsbedarf in diesem Feld.