Bildungsrepublik Deutschland bleibt Fata Morgana

GEW zum Bundesländer-Schulleistungsvergleich

... und wie Kultusministerin Henzler aus dem nur mäßigen Abschneiden Hessens Bonbons macht, ist in ihrer Presseerklärung vom 23.6.10 (im zweiten Teil) nachzulesen.

"Die 'Bildungsrepublik Deutschland' bleibt eine Fata Morgana. Fast zehn Jahre nach PISA gibt es keine substanziellen Verbesserungen des deutschen Schulsystems. Politik muss jetzt endlich energisch gegensteuern. Mehr Gerechtigkeit und mehr Leistung sind nur in einem gerechten inklusiven Schulsystem, in dem alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen und individuell gefördert werden, möglich", sagte Marianne Demmer, für Schule verantwortliches Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), mit Blick auf den heute veröffentlichten Schulleistungsvergleich der Bundesländer. "Auch die Länder, die beim Ranking vorne liegen, haben keinen Grund zum Jubeln. Die Lesekompetenz der Schüler hat sich im Vergleich zu PISA 2000 sogar geringfügig verschlechtert. Zudem ist in diesen Bundesländern die Abhängigkeit des schulischen Erfolges von der sozialen Herkunft der Kinder besonders stark ausgeprägt. Chancengleichheit bleibt im deutschen Schulsystem ein Fremdwort."

"Die Politik hat sich in den vergangenen Jahren verzettelt und die falschen Akzente gesetzt: Statt Chancengleichheit und individuelle Förderung zum zentralen Thema zu machen und massiv in die Fortbildung des pädagogischen Personals zu investieren, hat sie den Schwerpunkt bei der Qualitätssicherung gesetzt", betonte Demmer. "Die Schulen werden zwar ständig mit Leistungsvergleichen überzogen. Aus den Testergebnissen werden jedoch keine Konsequenzen gezogen: Es mangelt an Personal und Mitteln für die individuelle Förderung. Zudem werden die Arbeits- und Einkommensbedingungen der Lehrkräfte systematisch verschlechtert." Darüber hinaus würden unsinnige Entscheidungen getroffen, wie die gymnasiale Schulzeit zu verkürzen, ohne gleichzeitig ein stimmiges Konzept vorzulegen. Vor allem die Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe hätten darunter zu leiden.

"Um die Lesekompetenz zu verbessern, hatten die Kultusministerien zehn Jahre Zeit. Das Ergebnis: Ein 90-seitiges Literaturverzeichnis der von Bayern geleiteten Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz 'ProLesen' und eine Sammlung von über 100 Lese-Projekten in den Bundesländern, die kaum ein Lehrer kennt," sagte Demmer. Eine repräsentative Online-Befragung der GEW unter Lehrkräften hatte ergeben, dass drei Viertel die Förderkonzepte gar nicht oder nur vom Hörensagen kennen. 

"Deutschland muss sich endlich auf den Weg zu einem inklusiven Schulsystem machen", mahnte die GEW-Schulexpertin. Die unsinnige Aufteilung in unterschiedlich anspruchsvolle Schulformen und die Aussonderung junger Menschen mit Behinderungen müsse endlich überwunden werden. "Individuelle Förderung braucht gut ausgebildetes und motiviertes Personal, genügend Zeit und gute Lernbedingungen wie kleine Klassen", betonte sie.

 

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Presseerklärung des HKM vom 23.6.2010

Ländervergleich Bildungsstandards: Kultusministerin Henzler erfreut über gutes Abschneiden Hessens
 
 

Sehr erfreut hat sich die Hessische Kultusministerin Dorothea Henzler über das erfolgreiche Abschneiden Hessens im Ländervergleich Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) gezeigt. „Die positiven Ergebnisse belegen eindeutig, dass wir in der Bildungspolitik in Hessen auf einem guten und richtigen Weg sind. Sie sind zugleich eine hervorragende Motivation, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen und noch besser zu werden. Insbesondere die frühe und umfassende Weiterbildung der hessischen Lehrerinnen und Lehrer im Bereich des kompetenzorientierten Unterrichtens trägt offenbar Früchte. Deshalb werden wir diese gerade im Hinblick auf die Einführung der Bildungsstandards im kommenden Jahr nochmals intensivieren.“

Der Ländervergleich, dessen Ergebnisse heute in Berlin vorgestellt wurden, löst seit dem Jahr 2009 die Zusatzuntersuchung zur PISA-Studie (PISA-E-Studie) bezogen auf die deutschen Bundesländer ab. Hierbei werden die Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler bezogen auf die nationalen Bildungsstandards im Fach Deutsch und in den Ersten Fremdsprachen (Englisch und Französisch) bestimmt und ein Vergleich der Länder erstellt. In Hessen waren rund 120 Schulen mit jeweils einer 9. Klasse beteiligt. Im Zentrum des Vergleichs stehen die Kompetenzen Zuhören, Lesen und Orthografie im Fach Deutsch und Hörverstehen sowie Leseverstehen in der Ersten Fremdsprache.

Im Fach Englisch belegt Hessen einen vorderen Rang in der Spitzengruppe der Länder, nämlich einen vierten Platz im Leseverstehen und ebenfalls einen vierten Platz im Hörverstehen. „Das zeigt eindrucksvoll, dass die Qualität des Unterrichts in Hessen sehr gut ist und die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler bestmöglich fördern“, sagte Henzler. Ein ähnliches Bild ergebe sich im Fach Französisch. Auch hier habe Hessen im Ländervergleich sehr gut abgeschnitten. Im Fach Deutsch belegt Hessen insgesamt einen mittleren Platz (Rang 8 in der Lesekompetenz, Rang 9 beim Zuhören), wobei es aber im Teilbereich Orthografie mit Platz 4 wiederum zur Spitzengruppe der Länder gehört. „Auch das ist ein sehr positives Ergebnis, das zeigt, welch großen Stellenwert das korrekte schriftliche Ausdrucksvermögen im Deutschunterricht einnimmt. Unser Ziel ist es natürlich, uns auch in den anderen Teilbereichen weiter zu verbessern. Hier können die Ergebnisse der Studie, die wir jetzt intensiv auswerten, wichtige Erkenntnisse liefern.“ Bemerkenswert sei, so Henzler, dass im Fach Deutsch 85% der Schülerinnen und Schüler, die einen Mittleren Schulabschluss anstrebten, bereits in Klasse 9 über die notwendigen Kompetenzen (die Regelstandards) verfügten.

In Bezug auf die soziale Herkunft wurden in der Studie in den Fächern Deutsch und Englisch deutliche Signifikanzen festgestellt. Die soziale Herkunft für Leistungen bleibe in Deutschland ausgeprägt, sie wirke sich als Faktor auf die Leistungen in Deutsch und Englisch aus. In Hessen allerdings deutlich unter dem Durchschnitt. Bei der Orthografie liege in Hessen der geringste Einfluss der sozialen Herkunft vor. „Dieses Ergebnis belegt eindeutig, dass individuelles Fördern in Hessen besser gelingt als in anderen Ländern“, sagte Henzler. „Und nicht nur das: Die Chance für Kinder aus bildungsfernen Schichten erfolgreich im Gymnasium mitzuarbeiten, ist in Hessen überdurchschnittlich groß.“

Die Kultusministerin dankte ausdrücklich allen Lehrerinnen und Lehrern in Hessen für ihre hervorragende Arbeit. „Die Ergebnisse der Studie sind auch eine Wertschätzung der Arbeit, die tagtäglich in hessischen Klassenzimmern geleistet wird. Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie Schülerinnen und Schüler haben allen Grund, auf das Erreichte stolz zu sein. Es sollte zugleich für uns alle Ansporn und Motivation sein, uns weiter zu verbessern.“