Zukunft der Bildung in Wiesbaden ?

Diskussion im Vorfeld der Kommunalwahl

Der DGB hatte am Mittwoch, 23. März 2011 zu einer Diskussion im Vorfeld der Kommunalwahl mit Spitzenpolitikern Wiesbadener Parteien eingeladen. Im Podium: Bernhard Lorenz (CDU); Axel Imholz (SPD); Christiane Hinniger (Bündnis 90/Die Grünen); Michael Schlempp (FDP); Hartmut Bohrer (Die Linke); Dr. Michael von Poser (BLW); Moderation: Michael Grabenstroer (FR) Einführungsvortrag: Katja Plazikowski (GEW)

Sonderschullehrerin Katja Plazikowski gab zu Beginn der Veranstaltung einen Überblick über den derzeitigen Stand der Sanierungsarbeiten an Wiesbadener Schulen und betonte vorweg, dass die GEW durchaus die Fortschritte anerkennt:

„Viele Schulbauten sind pünktlich zum 27.3.2011 fertiggestellt worden und zumindest die Grünen fordern jetzt die Aufstockung der Gelder für weitere Sanierungsarbeiten. Dafür erwarten sie die Unterstützung der anderen Parteien.“

Die Kollegin wies allerdings nachdrücklich auf immer noch bestehende Mängel in den betroffenen Schulen (Comenius-, Albert-Schweizer-, August-Hermann-Francke-, Freiherr-vom-Stein-, Riehl- und  Johannes-Maaß-Schule) hin:

Da gibt es abbruchreife Pavillons und Behelfs-Container ohne Wasseranschluss, schadhafte Deckenkonstruktionen und undichte Dächer, defekte Fenster, wegen Einsturzgefahr geschlossene Turnhallen, Schimmel- und Pilzbefall in Unterrichtsräumen, fehlende Fachräume, nicht regulierbare Heizungen, zu kleine Klassenräume, trübselige ,enge Schulhöfe usw.

Die Kollegin forderte nachdrücklich und zum x-ten Mal einen Zeit- und Prioritätenplan,pointiert zusammengefasst klang das so:

„Die GEW Wiesbaden hat sich über Jahre hinweg in Zusammerarbeit mit betroffenen Kollegen und Eltern immer wieder für die Schulen eingesetzt, Runde Tische veranstaltet und dieses Thema im öffentlich Bewusstsein gehalten. Von Anfang an hat die GEW kritisiert, dass im Haushalt der Stadt Wiesbaden die falschen Prioritäten gesetzt wurden - zur gleichen Zeit nämlich, als Gelder für die Sanierungsschulen gestrichen wurden, wurden die mehr als 10 MIO. Euro für die EBS niemals in Frage gestellt - ein schulpolitischer Skandal erste Güte."

Die GEW Wiesbaden hegt gewiss keinen Groll gegen jene Efeuranke, die die Chuzpe besaß, durch verrottete Fensterrahmen ins Klassenzimmer der Comenius-Schule zu wachsen. Denn die Natur findet offenbar im Gegensatz zu den Politikern immer einen Weg. (Das Grünzeug könnte man ja auch mal einfach kommentarlos abschneiden! Originalton Schuldezernentin Scholz beim Ortstermin.) Wir proben auch keinen Aufstand als Erbsenzähler! Aber wir kritisieren die Politiker, die für den Sanierungsstau verantwortlich waren und die die verheerenden Zustände an etlichen Wiesbadener Schulen jahrelang   hinnahmen und wegschauten. Und dabei sind wir tatsächlich kleinlich!

Die Beschreibung der Lage wurde vordergründig von den Podiumsteilnehmern allgemein akzeptiert. In der Diskussion wurde es dann doch differenzierter. Zum Thema Finanzierung gab es recht unterschiedliche Aussagen.

Bohrer nannte ein zügiges Sanierungsprogramm wichtig für „ ein solidarisches, soziales Wiesbaden“, ebenso wie die Durchsetzung eines reellen Rechtsanspruchs für junge Eltern auf einen Kita-Platz für ihren Nachwuchs. Die Abdeckung liege derzeit nur bei 20-25%. Den „Schuldenbremsern“ hielt er am Beispiel der Schweizer-Schule vor, wie man besser nicht „spart“: Hätte man dort rechtzeitig investiert, wäre man mit 4,3 Millionen auf der Rechnung davongekommen; jetzt müsse man über ca. 10 Millionen reden, die allerdings noch immer nicht als Gelder für notwendige Ausgaben in den Haushalt eingestellt wurden.

„Ein geeignetes Schulsporthallenkonzept muss her“, so von Poser. „Eine überflüssige Großsporthalle mitten in der Stadt für rund 50 Millionen braucht kein Mensch!“ Schlempp sieht beim  Finanzierungsfluss „das Nadelöhr im Hochbauamt und bei den Schulen als Antragsteller.“ Dadurch seien bereitstehende Mittel nicht zügig umgesetzt worden. Eine Prioritätenliste werde erstellt, man solle sich das allerdings nicht so einfach vorstellen, diese stets aktuell zu halten. Hinninger plädierte für „Bildung für alle - in intakten und gesunden Schulen“,  ... was immer man darunter zu verstehen hat.

Imholz sagte, dass im letzten Haushalt zwar mehr Geld für Schulen, z. B. für G8, ausgegeben worden sei, aber viele Maßnahmen dennoch wieder aufgeschoben wurden oder zu kurz gekommen sind. Dadurch sei dann zu allem Überfluss auch noch ein bürokratisches Paradoxon entstanden: Man bekam kein Geld mehr aus dem Sonderkonjunkturprogramm wegen zu lahmem Planungsverlauf, weil „das neue Geld schließlich auch für neue Projekte gedacht ist!“ Vorfinanzierung von Sanierungsprojekten durch wohlhabende Eltern, sei, so der Politiker, ja wohl nur „für bestimmte Schulen in Wiesbaden eine Option und deshalb insgesamt ein wenig anrüchig.“

Lorenz räumte ein, dass in der Vergangenheit Fehler bei der Steuerung der öffentlichen Gelder gemacht worden seien, dass man aber daraus gelernt habe. Immerhin gäbe es derzeit „58 Baustellen“ an Wiesbadener Schulen. Schulen könnten obendrein selbst Gelder für investive Maßnahmen abrufen, dafür sei aber Voraussetzung, dass Schulleitungen künftig den Mittelabfluss effizienter steuerten. Das Vortragen von Geldmitteln und Überbuchen von Haushalten sei oft die Folge von ins Stocken geratenen Projekten. Herr Lorenz, hier kann man auf die Idee kommen, dass dies ein argumentativ verschleiernder Versuch ist, den schwarzen Peter anderen in die Schuhe zu schieben.

In der anschließenden Fragerunde mit dem Publikum ging es hauptsächlich  um die Öffentlich-Privaten-Projekte. Imholz, von Poser und Bohrer machten auf die Kehrseite der ÖPP-Variante bei der Finanzierung  öffentlicher Vorhaben aufmerksam: Man habe  keinen Einfluss mehr auf den Verlauf der Dinge; die Sache entgleite quasi der Aufsicht des Parlaments, da der Staat nun nicht mehr Eigner der Objekte sei, sondern nur noch zahlender Mieter und Nutzer derselben. „Dies kommt einem Verlust an demokratischer Kontrolle gleich. Auch Stadtverordnete sitzen dort als Unterstützer der Firmen. Das schafft unsichere Rechtsverhältnisse.“ (Imholz)  „Obendrein“, so Bohrer,  „kommen die Mieten die Stadt auf Dauer nicht nennenswert billiger als die  Aufnahme eines Kredits. Denn, Geldvermehrung der privaten Unternehmen ist das eigentliche Motiv von ÖPP.“

Auf die Frage, warum die EBS „gepampert“ werde wie keine andere Immobilie, kam von den CDU- und FDP-Vertretern die Antwort, „dass man der EBS eigentlich dankbar sein müsse, dass sie der Stadt das alte Gemäuer (= das alte Gerichtsgebäude) abgenommen habe und damit  eine Aufwertung des Viertels garantiert sei.“ Lorenz setzte noch einen drauf mit dem markigen Ausspruch, dass mit der Etablierung der EBS ja geradezu etwas gegen die Verslummung (!) dieses Stadtviertels getan werde.

Linke, Grüne und SPD und BLW hielten, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, dagegen.

Bohrer: Wiesbaden braucht keine EBS, die bereits im Vorfeld mit 3 Mio. Staatsmitteln zufinanziert wurde (zu den 30 Mio. Zuschuss aus Steuergeldern). Wegen der hohen Studiengebühren ist der Zugang von vornherein selektiv. Es hätte auch andere attraktive Nutzungsmöglichkeiten für die alten Gerichtsgebäude gegeben, z.B. als Stadtmuseum oder Oberstufenabteilung für die Oranienschule.

Hinninger: Ein Wettbewerb ist abgeblockt worden. Der Bildungsbereich ist kein Spielfeld für private Mittel.

Imholz: Die EBS ist uns als Wirtschaftsunternehmen willkommen, aber ohne staatliche Unterstützung.

Von Poser: Die EBS wird dem Viertel gut tun; sie sollte sich aber aus eigenen Mitteln finanzieren.

Zum Schluss kam noch der GEW Landesvorsitzende Jochen Nagel  zum Thema „Schuldenbremse“ zu Wort: Nagel setzte das Vorhaben „Schuldenbremse“ zur Handlungsfähigkeit eines Staates in Relation: Staatskredite zu investiven Zwecken  sind immer verfassungsgemäß. Im Gegenteil: Sollte ein Land keine Kredite mehr aufnehmen dürfen, dann

  • überlässt es wichtige kommunale Vorhaben der Privatfinanzierung und deren Einflüssen
  • schafft es immer mehr staatliches Eigentum ab
  • sinken letztendlich die öffentlichen Ausgaben (seit 10 Jahren in der BRD beobachtbar)
  • lässt dies auf tendenziellen Verzicht auf ein Segment öffentlicher Einnahmen zu Ungunsten der Allgemeinheit schließen
  • ist Demokratieabbau zu befürchten, wenn der Staat nicht mehr auf hohem Niveau sozial investieren kann

AUS DIESEN GRÜNDEN RÄT DIE GEW: NEIN ZUR SCHULDENBREMSE BEI DEN KOMMUNALWAHLEN !!!!

Frankfurter Rundschau