Schulpolitisch einseitig!

Erklärung der GEW-Wiesbaden zur beabsichtigten Umwandlung der Martin-Niemöller-Schule in ein Vollgymnasium

Immer wieder Gymnasium - so klingt es unisono aus der CDU, der FDP und last but not least aus der Martin Niemöller Schule und von ihrer Schulleiterin. In jahrzehntelanger Auseinandersetzung um die Dreigliedrigkeit des deutschen Schulangebots streiten die Immergleichen mit immer neu hervorgeholten Argumenten um ihr Lieblingsziel: frühe Selektion, einseitige Orientierung an Leistung, Verzicht auf Entwicklungschancen und Möglichkeiten durch gemeinsames Lernen.

Diesmal mit dem Argument G9. Es mutet ein wenig komisch an, dass die Protagonisten von G8 (interessanterweise werden die bestehenden G8 Gymnasien in der Innenstadt nicht in den Blick genommen) sich dieses Arguments bedienen, um mal wieder ein neues Gymnasium zu etablieren. Es spricht aber für ein argumentatives Geschick.

Nachdem nicht zuletzt durch die Schuldezernentin mühsam die Theodor-Fliedner-Schule von einer Gesamtschule in ein Vollgymnasium umgewandelt wurde, geht man beherzt den nächsten Schritt. Dass die Fliedner-Schule nicht ausreichend angewählt, noch nicht einmal vollständig ausgebaut und der Bedarf in diesem städtischen Einzugsbereich mehr als abdeckt ist, wird dabei bewusst ignoriert. Genauso ignoriert wird, dass attraktive Angebote auch Schülerzahlen an Oberstufengymnasien wachsen lassen. Die Nachfrage besteht aber bereits jetzt, bezieht man die erhöhten Anwahlzahlen der beruflichen Gymnasien ein.

Das besondere Angebot eines Oberstufengymnasiums besteht gerade darin, dass es Schülern aus Gesamtschulen und Realschulen ermöglicht, in der Sekundarstufe II, in einem neuen Umfeld bei anfänglich hoher Leistungsheterogenität, Chancen auf ein Abitur zu eröffnen. Dieses besondere Angebot eröffnet Bildungsoptionen. Ein klassisches, ab Klasse 5 durchgehendes Gymnasium verschließt sich in gewisser Weise gegenüber der Aufnahme dieser Schülergruppe. Die bestehenden fest etablierten leistungshomogeneren Gruppen machen die anderen schnell zu Schülern zweiter Klasse. Ein Vollgymnasium Martin Niemöller wird kein Angebot mehr für diese Gruppe von Schülern sein. Wiesbaden würde damit auf ein ausreichendes und attraktives Angebot für Schüler aus Gesamt- und Realschulen aus Wiesbaden und dem Rheingau-Taunus-Kreis verzichtet. Die neu zu bauende Carl-von-Ossietzky Schule ist für den Bestand an Oberstufenschülern bei zwei bestehenden Oberstufengymnasien ausgelegt und wird den Bedarf nicht decken können.

Was hier so praktisch daherkommt, neues Schild, neue Schule, neues Gymnasium stimmt ebenfalls nicht. Für ein Vollgymnasium wird es, um funktionieren zu können, zu massiven Bauinvestitionen in die fast noch neue Martin-Niemöller-Schule kommen müssen.

Was Wiesbaden braucht, ist kein neues Vollgymnasium, sondern weiterhin zwei Oberstufengymnasien. Was Wiesbaden braucht, ist eine weitere innenstadtnahe Integrierte Gesamtschule (IGS) mit einem attraktiven Angebot. Eine IGS, die das Angebot ergänzt und an die Oberstufengymnasien angebunden ist. Dies wäre tatsächlich eine Angebotserweiterung.

Nur eine solche Schulstruktur trägt den Wünschen der Eltern und Schüler Rechnung. Nur eine solche Schulstruktur trägt zur Bekämpfung der strukturellen Benachteiligung von Schülern außerhalb der gymnasialen Standardlaufbahn bei.

Was Eltern darüber hinaus wünschen sind mehr G9-Gymnasien in der Innenstadt. Aber nicht statt des Oberstufengymnasiums, sondern statt der bestehenden und weniger gewünschten G8-Gymnasien.

Für den Kreisvorstand der GEW-Wiesbaden

Michael Zeitz