„Schieben Sie alles weg und konzentrieren Sie sich auf den Unterricht.“

Über die Belastungen von Lehrer/innen

Unter dem Titel: "Lehrer rufen um Hilfe" berichtete die Frankfurter Rundschau über die Belastungen von Lehrer/innen (siehe Link). Wir fragen bei Kultusministerin Henzlers Leiter der Schul- und Schulbudgetabteilung, Martin Günther nach:

  1. Lieber Herr Günther, Sie sprechen von einem "subjektiven Gefühl" der Lehrer. Ein Überlastungszustand äußert sich in individuellen psychischen und physischen Dissonanzen. Wie soll man sich denn NICHT subjektiv überlastet fühlen?
  2. Ganz objektiv und sachlich fragen wir, als GEW Wiesbaden: Beispielsweise eine Grundschullehrerin hat mit 29 Stunden Unterrichtsverpflichtung bei einer 42 Stunden-Woche 13 Stunden an Vor- und Nachbereitungszeit. Das entspricht nicht einmal 27 min für eine gehaltene Stunde. Wie viel Zeit benötigen Sie, um guten (den gesetzlichen Standards entsprechenden) Unterricht vor- und nachzubereiten? Selbst, wenn Sie die unterrichtsfreie Zeit (Nicht-Lehrer nennen es auch "Ferien") hinzuzählen, ist das gesamte Dokumentations- und Verwaltungspensum zu hoch, das im einzelnen der Überlastungsanzeige zu entnehmen ist!
  3. Aus welchen Gründen sind Pflichtstundenreduzierung und kleinere Klassen unrealistisch? Die Stellen suchenden Lehrkräfte (gerade im Primarbereich) könnten endlich unterkommen und die demografische Entwicklung macht kleinere Klassen besser möglich denn je. Oder zählen mal wieder nur Budgetierungsargumente? Womit bewiesen wäre, dass dieses Kultusministerium nicht in der Lage ist, finanziell angemessen und bedarfsgerecht, will heißen: durchsetzungsfähig gegen andere Ressorts zu arbeiten.
  4. Sie sprechen von einer "angestrebten 105% igen Lehrerversorgung". Darauf warten wir, seit Sie Ihre Koalitionsvereinbarungen 2008 unterschrieben haben. Stattdessen rühmt sich Frau Henzler damit, dieses Schuljahr 99,7% der Versorgung erreicht zu haben. Wann werden die 105% erreicht sein? Noch vor den nächsten Wahlen oder wollen Sie mit dem gleichen Slogan wieder in den Wahlkampf ziehen?
  5. Lieber Herr Günther, Ihre Erfahrungen als Gymnasialschulleiter in allen Ehren. Seit wann sind Sie kein Schulleiter mehr? Falls Sie sich seit ca. 5 Jahren nicht mehr in dieser Position befinden, können Sie nicht behaupten, dass Ihnen diese hohe Belastung der Kollegien bekannt sei, da mit dem Hessischen Schulgesetz/Hessischen Lehrerbildungsgesetz von 2005 ein großes Maß an Mehrarbeit in allen Bereichen des Lehrberufes einherging.
  6. Was ist "Konferenzeritis"?
  7. Ihr "Tipp", Herr Günther, "Schieben Sie alles weg und konzentrieren Sie sich auf den Unterricht" liest sich wie der reinste Hohn. Immerhin zeigt er, dass dem Kultusministerium die "Kernaufgabe" des Lehrberufs noch immer präsent zu sein scheint. Wenn man sich nur auf seinen Unterricht konzentriert (und damit auch ganz klar 42 Stunden in der Woche beschäftigt sein kann), hat man wahrscheinlich einen Monat später ein ersntes Gespräch mit der Schulleitung, die fragt: Warum haben Sie: das Konferenzprotokoll nicht angefertigt? Ihre Aufsicht nicht wahrgenommen? Eltern ein Gespräch verwehrt? die 5 Förderpläne nicht fortgeschrieben, die Frist ist längst überschritten? die Fortbildungsveranstaltung am Wochenende abgesagt? die Überarbeitungsideen fürs Schulprogramm nicht in die Steuergruppe mitgebracht? die Kooperation mit der Schulsozialarbeit nicht fortgeführt? die im Förderkonzept der Schule festgelegten Diagnoseverfahren nicht durchgeführt, ausgewertet und sinnvolle individuelle Förderung abgeleitet? Ihr Klassenzimmer für die Schulinspektion nicht schön hergerichtet? die Vergleichsarbeiten einfach nicht geschrieben? UND WARUM WAREN SIE EIGENTLICH KRANK?

Schön, dass man sich in diesem Fall jetzt auf einen hochrangigen Bildungspolitiker im Kultusministerium und dessen "Insider"-Tipp beziehen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Die GEW Wiesbaden