Non oeconomiae sed vitae discimus

(Nicht für die Wirtschaft, für das Leben lernen wir)

"Für eine Weile war sie sogar verheiratet, aber auch das war alles andere als ein Erfolg. Mit 23 Jahren bekam Sarah einen Sohn. Sie hockte zu Hause, eine gelangweilte und völlig frustrierte Hausfrau und Mutter, finanziell abhängig von einem Mann - sie führte ein Leben, das sie bei anderen bisher immer verachtet hatte. […] Der Tiefpunkt war für sie, Sozialhilfeempfängerin zu sein […] - was für eine Demütigung."

Die junge Frau, die sich hinter dieser Erzählung verbirgt, ist Sarah Wiener - die bekannte Köchin. Die Lösung für sie wird wenige Seiten später in Form von Tonya Groover mit ihrer Firma „Webelegance“ geliefert:

"Für eine Weile war sie sogar verheiratet, aber auch das war alles andere als ein Erfolg. Mit 23 Jahren bekam Sarah einen Sohn. Sie hockte zu Hause, eine gelangweilte und völlig frustrierte Hausfrau und Mutter, finanziell abhängig von einem Mann - sie führte ein Leben, das sie bei anderen bisher immer verachtet hatte. […] Der Tiefpunkt war für sie, Sozialhilfeempfängerin zu sein […] - was für eine Demütigung."

 

Die junge Frau, die sich hinter dieser Erzählung verbirgt, ist Sarah Wiener - die bekannte Köchin. Die Lösung für sie wird wenige Seiten später in Form von Tonya Groover mit ihrer Firma „Webelegance“ geliefert:

 

„Als Tonya anfing, wie eine Unternehmerin zu denken, öffnete sich die Welt für sie“.

 

Dies sind Zitate aus dem Schülerbuch von NFTE Deutschland e.V., welches für Mädchen und Jungen der Sekundarstufe I verfasst wurde. Ein Schelm, wer bei diesem Beispiel und einer Fülle ähnlich gelagerter einen Zusammenhang mit dem Anspruch von NFTE Deutschland e.V. vermutet:

 

"NFTE unterstützt ein nachhaltiges Umdenken der Gesellschaft, insbesondere der Lehrer und der Schüler: Es entsteht ein positives Verständnis zur Wirtschaft und zum Unternehmertum.“

 

Ist dies die Aufgabe von Schule? Und sind dies die Inhalte und Zielsetzungen, für die Schulen die Zusammenarbeit mit einem Verein namens NFTE suchen sollten? Einen Verein, der nach eigenen Angaben in unserer Stadt, aber auch bundesweit jede Menge an Kooperationspartnern gefunden hat (in Wiesbaden: Heinrich-von-Kleist-Schule, Theodor-Fliedner-Schule, Kellerskopfschule, Helene-Lange-Schule, Sophie-und-Hans-Scholl-Schule und Wilhelm-Heinrich-von-Riehl-Schule)? Ein Blick in den Paragraphen 2 des Hessischen Schulgesetzes genügt, um stutzig zu werden: Die Schüler „sollen befähigt werden (…) nach ethischen Grundsätzen zu handeln“. „Staatsbürgerliche Verantwortung“ sollen sie übernehmen, um „durch die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen mit anderen zur demokratischen Gestaltung des Staates und einer gerechten und freien Gesellschaft beizutragen“. Und weiter sollen sie lernen, „die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zum sozialen Handeln zu entwickeln“. 

NFTE hingegen erklärt den Schülern in seinem Schülerbuch schon im ersten Kapitel - und dann in mannigfaltigen Variationen:

„Einsamkeit, finanzielle Unsicherheit und andere Hindernisse können innere Stärke erzeugen.“

Ein Mentalitätswechsel, der sich mit dem bisher noch gültigen Bildungsauftrag von Schule in Einklang bringen lässt? Die Schulung eines Persönlichkeitsbildes à la Adam Smith, nach dem der Markt den Egoismus des Einzelnen in wachsenden Wohlstand für die Allgemeinheit transformiert? Wollen wir wirklich unseren Schülern beibringen, dass jeder für sich zu kämpfen habe und dann auch alleinige Verantwortung für Glück und Scheitern trage? „Einem Entrepreneur sind keine Grenzen gesetzt, wenn er oder sie bereit ist, hart zu arbeiten“, lautet das dann im Schülerbuch in NFTE-Sprache. Und wenn es nicht klappt, hat man wohl einfach nicht kompetent genug am eigenen Egoismus gefeilt: Ellenbogen raus für ökonomischen Wohlstand und soziale Verelendung? Nein, danke!

Das Vorgehen von NFTE Deutschland e.V. erläutern die Hochschullehrer Hedtke und Möller in ihrer Netzwerkstudie: „Auch wirtschaftsnahe Stiftungen wie etwa die Network For Teaching Entrepreneurship Deutschland e.V. (NFTE) bieten dreitägige Lehrerfortbildungen u. a. im Rahmen staatlicher Einrichtungen und Programme an, die zum Certified Entrepreneurship Teacher (CET) qualifizieren und von beim NFTE ausgebildeten Certified Entrepreneurship Teachers Instructors geleitet werden. Die CET setzen dann in den Schulen den ‚NFTE-Lehrplan‘ um. Allerdings geht es hier nicht nur um unternehmerische Kompetenzen, sondern auch um einen allgemeinen Mentalitätswandel durch die „gezielte 

Förderung und Motivation zu selbstständige[m] und aktiverem Handeln.“ Der Vergleich zu ähnlichen Methoden der Pharmaindustrie, „die – neben massiver Produktwerbung bei Laien und Professionellen – auch mittels gezielt zugeschnittener, inhaltlich von den Unternehmen kontrollierter Fortbildungsangebote ärztliche Therapiepräferenzen und Medikationen im eigenen Interesse zu beeinflussen versteht“, liegt auf der Hand.

Kurzer Blick zurück ins Hessische Schulgesetz,  §2: Schulen sind Einrichtungen, „in denen unabha?ngig vom Wechsel der Lehrerinnen und Lehrer Unterricht erteilt wird“. NFTE setzt aber lieber auf die eigenen CET. Und auch nur diese - nicht etwa der „gemeine Lehrer“ - dürfen in den kennwortgeschützten CET-Exklusivbereich auf der Vereinshomepage mit der Möglichkeit „alle Arbeitsmaterialien herunterzuladen („downzuloaden“), die nur für Sie als NFTE CET Lehrkräfte bestimmt sind.“ Das Schülerbuch ist auf dem freien Buchmarkt ebenso nicht erhältlich. Erklärt werden solche fragwürdigen Methoden im NFTE-Schülerbuch: „Man kann nämlich Regeln nur dann sinnvoll brechen, wenn man sie versteht. Es geht schließlich nicht einfach darum, Regeln zu brechen, weil es Spaß macht, sondern weil der Markt eine bessere Lösung honoriert.“

Die Fülle an Materialien und Broschüren zu  kennen, die einem die Vielzahl an Produkten für den Schulmarkt schmackhaft machen wollen, dieses Problem kennt jeder Lehrer. Und er hat das Problem, sich kritisch zu orientieren. NFTE Deutschland e.V. geht allerdings einen Schritt weiter, wenn der Verein mit eigenen Lehrerfortbildungen die Lehrer direkt und nicht nur indirekt  beeinflussen will . Ergänzt durch das komplett ausgearbeitete Curriculum inklusive Schülerbuch, Schülerarbeitsheft und Lehrerhandbuch liefert NFTE dem geneigten Lehrer die komplette Unterrichtsvorbereitung für ein bis zwei Schuljahre. Und man hat in der Tat an alles gedacht, „um den speziellen deutschen Bedarf genau zu treffen und unsere Jugendlichen entsprechend ansprechen zu können. Bei der Anordnung der Kapitel haben wir sehr bewusst eine Akzentverschiebung vorgenommen, um auf die im Vergleich zu den USA viel skeptischere und kritischere Einstellung der Deutschen zum Unternehmertum und auch auf die leider viel weniger ausgeprägte Neigung zu positivem Denken zu reagieren“. Und immer wieder wird dem Lehrer im Lehrerhandbuch eingebläut, dass dies alles unverzichtbare Bestandteile des NFTE-Kurses seien, die nur so funktionieren und umgesetzt werden sollen. 

Die lange Liste der Förderer von NFTE in den USA und in Deutschland wie auch die Vielfalt an Firmenlogos und an werbenden Verfassertexten machen deutlich, dass es keineswegs um Beeinflussung zugunsten einzelner Firmen geht. Vielmehr sind hier Strukturen des so genannten „deep lobbying“ zu erkennen, auf die LobbyControl e.V. in ihrem Lobbypedia-Projekt als für die Schulen durchaus relevante Gefährdung hinweist: „Meinungsmache an Schulen kann in diesen Fällen als Teil einer erweiterten Lobbyarbeit gesehen werden. Im Englischen wird diese langfristige Beeinflussung von Einstellungen, Stimmungen oder Diskursen in der Gesellschaft auch als deep lobbying bezeichnet.“ Das „Lernziel“ eines der im NFTE-Kurs verpflichtenden Spiele lautet beispielsweise im Lehrerhandbuch: „Zum Schluss ist also das Gesamtergebnis der Gruppe verbessert, wenn die Mitglieder der Gruppe frei untereinander handeln durften“. Oder kurz: Freihandelsabkommen.

NFTE Deutschland e.V. in Person des Geschäftsführers Wolf-Dieter Hasenclever will davon nichts wissen, wenn es „einzig und allein um Persönlichkeitsbildung“ gehe („taz“ vom 19.12.2014). Aber Persönlichkeitsbildung im Sinne einer pluralistisch-demokratischen oder vielmehr einer ökonomisch-kapitalistischen Gesellschaft? Oder um es mit Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt, zu sagen: „Der Kampf um die Köpfe der Kinder hat begonnen.“

Doch NFTE Deutschland e.V. wird nicht erst jetzt nach dem 10-jährigen Deutschlandjubiläum kritisch betrachtet. So liegt der GEW Wiesbaden eine Stellungnahme des Hessischen Kultusministeriums aus dem November 2014 vor: „Das Hessische Kultusministerium hat das von NFTE zur Verfügung gestellte Buch von Anbeginn an kritisch beurteilt. (…) Es ist aus unserer Sicht nicht für den Bildungsgang Hauptschulen geeignet. In einem Gespräch mit der Geschäftsführerin von NFTE Deutschland e.V. vor mehr als zwei Jahren haben wir unsere kritischen Anmerkungen zum Projekt und zum Buch ausführlich erläutert (…). Trotz zunächst positiver Rückmeldung ist eine Überarbeitung unseres Wissens nicht erfolgt; eine Neuauflage des Buches liegt bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor. Das Hessische Kultusministerium hält seine Vorbehalte gegen das Projekt und das Schülerbuch noch immer für berechtigt. (…) Von Seiten des Hessischen Kultusministerium wird es auch in Zukunft keine Werbung bzw. Unterstützung für NFTE geben, zumal die von uns vorgebrachten kritischen Punkte nicht umgesetzt werden.“ Und auch auf Bundesebene werden die kritischen Stimmen lauter, wenn man sich die Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag vom 30. Juli 2014 ansieht, in der sehr gezielt nach der Initiative „Unternehmergeist macht Schule“ gefragt wird. NFTE Deutschland e.V. ist dort neben anderen entsprechenden Initiativen vertreten (wie z.B. die von Frontal21 im Beitrag „Schüler unter Einfluss – Lobbyisten im Klassenzimmer“ bereits 2013 hinterfragte Initiative des Bundesverband deutscher Banken „Schul/Banker“).

Letztlich - so werfen beschwichtigende Stimmen immer ein - kommt es auf den unterrichtenden Lehrer und dessen Umgang mit Materialien und Projekten an. Doch dies sollte dann wohl nur in der Form stattfinden, dass so ein Zeug wie NFTE in unseren Schulen allenfalls einen Platz im Giftschrank haben darf, um Schülern und Lehrkräften zu verdeutlichen, wie perfide und mächtig Einfluss genommen wird. Denn nicht alle Mädchen an unseren Schulen sind kleine Sarah Wieners, die ihren Weg als Unternehmerin gehen werden. Und sicher tut es auch jedem zukünftigen Unternehmer gut, z. B. Arbeitnehmerrechte und gewerkschaftliche Interessen zu kennen, welche im Falle des NFTE-Curriculums vollständig ausgeblendet werden. Das hat schon der Beutelsbacher Konsens formuliert:

Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.
Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
Wer dies nicht achtet, öffnet Türen, die wir längst erfolgreich geschlossen glaubten. Wenn Schule sich öffnet für singuläre Interessen und deren Lobbygruppen, verlieren wir die Vielfalt, Kreativität und Kritikfähigkeit, die unsere Gesellschaft viel mehr braucht als dreiste Rufe nach mehr Unternehmertum, unspezifisches Gebrüll nach Fachkräften oder ähnliches. Wer einmal anfängt, tendenziös in eine Richtung zu steuern, wird über kurz oder lang in die Lage kommen, gegensteuern zu müssen. Schule und Bildung sollten sich aber nicht zum Spielball allzu einseitiger Interessen machen lassen. Und hinter den Unterrichtsmaterialien, die von den verschiedensten Initiativen in die Schulen geschwemmt werden, steckt sehr oft einerseits Werbung und Lobbyismus, andererseits aber auch schlicht mangelnde Qualität. Überdeckt wird das Ganze dann gerne mit aufwendigem Layout, Wettbewerben und einem finanzkräftigen Anschub.

NFTE soll nach Wunsch des Vereins „nifty“ ausgesprochen werden. Nifty ist Englisch und bedeutet so viel wie geschickt, elegant, raffiniert. Da bleibt eigentlich nur zu wünschen, dass unsere verantwortungsvollen Kollegen an Wiesbadener, hessischen und deutschen Schulen so geschickt und raffiniert sind, den Verlockungen von NFTE Deutschland e.V. und ähnlichen Initiativen elegant zu widerstehen.

(Eine Literaturliste zu diesem Artikel kann bei der GEW Wiesbaden angefordert werden.)

Dr. Manon Tuckfeld