Nichts als Krise

Stellungnahme der GEW Wiesbaden-Rheingau zu Presseberichten in der Frankfurter Rundschau.

Nach - aus Sicht der GEW Wiesbaden-Rheingau - irritierender Berichterstattung in der Frankfurter Rundschau vom 20.04.2017 beziehen wir wie folgt Stellung:

Stellungnahme zu den NGRS-Systemen an Wiesbadener Schulen (Notfall-Gefahren-Reaktions-Systeme), Stand: 21. April 2017

Dass Krisen geeignet sind, verbriefte Rechte auszuhebeln, wird landauf wie landab immer wieder belegt. Dass in Wiesbaden nun – nach einer ca. drei Jahre andauernden Auseinandersetzung um die sogenannten NGRS – diese Kommunikationssysteme mit Abhörfunktionsmöglichkeiten (siehe hierzu die Veröffentlichung ‚Mitbestimmung in Zeiten der Angst‘ auf der Homepage der GEW Wiesbaden) einfach ohne die Mitbestimmung zu beachten aktiv geschaltet worden sind, ist ein Skandal.

Ein Skandal allerdings, zu dem viele beigetragen haben. Ursprünglich vereint in dem Willen, etwas Gutes zu tun, aber sich dabei von niemand, den es betrifft, in die Planung reinreden zu lassen, sind extrem teure (allein der Einbau in der Elly-Heuss-Schule hat ca. 340.000 Euro gekostet) NGRS-Anlagen angeschafft und eingebaut worden. Geplant war (ist?) dies im Wiesbadener Schulamtsbezirk zu tun. Hier sind projektierte Mittel von 15 Millionen Euro vorgesehen.

Soweit, so schlecht. Denn die Folgen der fehlenden Kooperation mit Lehrern, Eltern und Schülern zeigten sich, als die Technik eingebaut war. Alles läuft auf eine Zentrale hin. Hier müsste jemand (wer? vollkommen unklar!) während der gesamten Öffnungszeiten des Schulgebäudes ununterbrochen sitzen, der im Krisen- bzw. Amokfall in der zentralen Schaltstelle der Schule (Sekretariat/oder Schulleitungszimmer) entscheiden soll, wie ernst der Alarm zu nehmen ist und welche Maßnahmen eingeleitet werden soll. Es bedarf kaum Phantasie, um zu erkennen, dass diese technische Konstruktion mit schulischer Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Kein Schulleiter, kein Lehrer aus dem Krisenteam will und kann polizeiliche Aufgaben übernehmen und auf der Grundlage der eigenen Einschätzung eine Gefahrenbewertung und die Beauftragung/Veranlassung geeigneter Maßnahmen vornehmen. So ist aber die auf einen schulinternen Entscheidungspunkt hin organisierte Technik geplant. Geplant, aber nicht verwirklicht. In allen Schulen ist dieses ursprünglich vorgesehene Konzept nicht umgesetzt. Die Meldung läuft über die 110. Die Polizei übernimmt dann und entscheidet.

Dass die Anwahl der polizeilichen Notrufnummer auch ohne den Einbau einer solchen Technik möglich gewesen wäre, ist offensichtlich. Ganz normale Telefone könnten hierzu genutzt werden.

Somit ist die Anlage überteuert und von ihrer technischen Konzeption her nicht geeignet, in einer Schule eingesetzt zu werden. Sie birgt zudem die Gefahr, dass jederzeit in alle Schulräume der Schule unbemerkt hineingehört werden kann, was in die Persönlichkeitsrechte von Lehrern und Schülern eingreift. Wäre dieser Eingriff im Notfall natürlich gerechtfertigt, gilt dies für den Normalbetrieb nicht.

Hierzu und wie die Anlage, die theoretisch vieles kann, technisch konfiguriert werden muss (in ihrer Funktionalität eingeschränkt - wer will schon, dass von der Schulzentrale aus in alle Räume hineingehört werden kann), bedarf es einer Vereinbarung mit den Betroffenen. Und dies sind die Lehrerinnen und Lehrer, vertreten durch deren Personalräte. Davon ist aber bis heute abgesehen worden.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat, nach einigem hin und her, ihre Bereitschaft bekundet, die Mitbestimmung zu achten und den Entwurf einer Dienstvereinbarung mit dem Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer verhandelt und den Schulleitern der betroffenen Schulen zur Unterschrift empfohlen. Allerdings ist diese Dienstvereinbarung nie unterzeichnet worden. Sie liegt nun unterschriftsbereit vor. Es könnte ein rechtskonformes Betreiben der Anlage ermöglicht werden. Die Personalräte haben zugesagt, diese in ihrem Namen ausgehandelte Vereinbarung sofort zu unterschreiben. Aber von anderer Seite fehlt es am Willen zur Einigung.

Die Schulleiter und das Staatliche Schulamt nehmen die Position ein, dass sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hätten, weil es ja eine Angelegenheit der Stadt sei. Die Stadt nimmt die Position ein, dass sie alles ihr Mögliche getan habe.

In der langen Auseinandersetzung haben die Personalräte zwar erreicht, dass diese Anlagen im Verhältnis zu dem, was mit ihnen technisch möglich ist, sehr heruntergefahren wurden. Auch besteht die Zusicherung, dass eine missbräuchliche Nutzung der Anlage nicht möglich sei (FR vom 20.04.2017). Aber was genau ist die nicht-missbräuchliche Nutzung der Anlage? Irgendeine Funktion sollte sie ja haben. Sonst wäre die teure Anschaffung und der Betreib ja wohl nutzlos.

So ist und so bleibt – auch nach dem Anschalten der Anlage – die Frage, was sie genau kann und was sie macht. Der Gesetzgeber hat hierfür die Notwendigkeit einer Dienstvereinbarung vorgesehen. Dies wird missachtet. Der Gesamtpersonalrat und örtliche Personalräte prüfen die Möglichkeit einer Klage zur Durchsetzung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte.

Hand aufs Herz: Wer will schon in Räumen sitzen und arbeiten, in denen ein Mikrophon installiert ist, mit dem jederzeit in den Raum hineingehört werden könnte und niemand weiß, ob gerade in diesem Moment die Abhörfunktion angeschaltet ist.

Als vertrauensbildende Maßnahmen ist die Einbindung der Personalräte und die vertragliche und verbindliche Festlegung der technischen Möglichkeiten in einer Dienstvereinbarung notwendig.