„Inklusion steht drauf, doch was ist drin?“

war die Fragestellung einer Podiumsdiskussion, die von der Initiative „Gemeinsam-lernen-in-Wiesbaden“ veranstaltet wurde

Eingeladen waren hessische Landtagskandidaten bzw. Bildungspolitiker aller im Landtag vertretenen Parteien.

Leider war die Aula der Elly-Heuss-Schule nur zur Hälfte besetzt – das Thema hätte mehr Interesse verdient. (Außerdem war die Musik der Gruppe „Blind Foundation“ sehr hörenswert!) Ging es doch um nichts Geringeres als die Vorstellungen, wie Inklusion in Hessen weitergehen soll – und um eine Einschätzung des momentanen Zustandes durch die politisch Verantwortlichen bzw. diejenigen, die es gerne werden wollen.
Ein Fazit vorab: Inklusion hat in Hessen eine lange, gute Tradition in den Regionen, in denen sie sich entwickeln konnte – flächendeckend ist sie aber weder überall noch in den Köpfen der verantwortlichen Personen in der Politik angekommen.

Die Vertreter  von FDP und CDU offenbarten ein teilweise erschreckendes Nicht-Wissen darüber, wie die - verpflichtende - Umsetzung  der UN- Konvention realisiert werden kann; v.a. bei den Beiträgen von G. Schork (CDU) konnte man den Eindruck bekommen,  er habe sich niemals mit der Tatsache, dass Inklusion ein Menschenrecht ist, auseinandergesetzt. Dafür wurden die neuen Vorgaben des hessischen Schulgesetzes ausgiebig gelobt und beschönigt. („Inklusion ist auf einem guten Weg.“) Die zeitlichen Perspektiven der Umsetzung von Inklusion nach Meinung von CDU und FDP wurden mal wieder mit 10 -15 Jahren beziffert; genauso gut hätte man auch 100 -150 Jahren oder nie sagen können, denn so kann es natürlich gar nicht gehen: Beibehaltung des differenzierten Förderschulsystems mit  all seinen Ressourcen, bei der Inklusion natürlich Beibehaltung des Ressourcenvorbehalts, (weil finanzielle Ressourcen durch das Förderschulsystem gebunden werden, was aber niemand laut sagt) und auf Anfragen aus dem Publikum, ob es eine zeitliche Perspektive für die Auflösung von Förderschulen gäbe das blanke Unverständnis ob dieser Frage, denn ein Kind solle dort unterrichtet werden „wo es für das Kind am besten ist“. Etwas differenzierter klangen da schon die Vorstellungen von M. Döweling (FDP): Barrierefreiheit umsetzen, mehr Förderschullehrkräfte ausbilden bzw. Förderschullehrerstellen umsteuern.

Anders sah es da bei der Vertreterin der SPD, der Linken und dem Vertreter der Grünen aus: 

B. Cardenas (Linke) beschrieb den momentanen Zustand als Verschlechterung gegenüber dem GU und bemängelte, dass Inklusion kein gesamtgesellschaftliches Projekt sei; sie will sich für ein Auslaufen von Förderschulen einsetzen. 

H. Habermann (SPD) nannte das neue Schulgesetz ein „Inklusionsverhinderungsgesetz“, versprach die Aufhebung des Ressourcenvorbehalts, strebt aber lediglich  die Auflösung der Lernhilfe-Schule an und will die Beratungs- und Förderzentren erhalten.

M. Wagner (Grüne) bemängelte, dass Förderschullehrkräfte nicht mehr Mitglieder des Regelschulkollegiums seien und möchte Inklusion zum Regelfall machen, gleichzeitig aber auch die Förderschulen erhalten. Hier eine originelle Idee der Grünen, wie Inklusion trotzdem zum Regelfall gemacht werden kann: „Inklusion so gut machen, dass Eltern sich für Inklusion entscheiden“  – die Förderschullehrerin, die diesen Artikel schreibt, fragt sich erstaunt, wie diese Vorstellungen von SPD und Grünen funktionieren sollen. Alle in der Schulpraxis Tätigen wissen, dass die Quadratur des Kreises nicht möglich ist. Und Politiker und Politikerinnen sollten wissen, dass man Prioritäten setzen muss, um Ziele zu erreichen.

Konkrete Fragen und Informationen  aus dem Publikum konnten oft nur unzureichend oder erschreckend wenig sachkundig beantwortet oder kommentiert werden: z.B.

  • die Frage nach adäquater, professioneller  Förderung von massiv behinderten oder beeinträchtigten Schülerinnen und Schülern in der Regelschule;  
  • die kritische Hinterfragung der Rolle der Beratungs- und Förderzentren, die Inklusion steuern, Regelschulen mit Lehrkräften versorgen und an die Förderschulkolleginnen und Kollegen aus den Regelschulen zunehmend zwangsabgeordnet werden; 
  • Schilderungen von betroffenen Eltern, wie unzureichend ihr behindertes Kind auch in einer Förderschule gefördert wird; 
  • Aufzählung von Förderschwerpunkten, z.B. im sozial-emotionalen oder Sprachheilbereich, die keine Stundenzuweisung in einer inklusiven Regelschulklasse bekommen; 
  • Beispiele, wie sich die personelle Situation einer langjährig inklusiv arbeitenden Gesamtschule in Frankfurt massiv verschlechtert hat ………die Liste ist lang. 

Auch müssten die anwesenden Kandidaten und Kandidatinnen vor der nächsten Veranstaltung ein wenig Nachhilfe nehmen bzw. folgendes auswendig lernen:

„Gemeinsamer Unterricht“ (GU) heißt jetzt „Inklusive Beschulung“ (IB) – „Prävention“ heißt auch „Vorbeugende Maßnahmen“ (VM) – IB und VM ergeben den „Inklusiven Unterricht“, der aber mehr als Unterricht ist – „Sonderschulen“ heißen schon seit längerem in Hessen „Förderschulen“ und „BFZ“ ist die Abkürzung von „Beratungs- und Förderzentrum“.

Vor allem erstere sind Wortschöpfungen des neuen hessischen Schulgesetzes – wie sinnvoll, nachvollziehbar oder professionell sei dahingestellt, aber jetzt in Gebrauch.

Der VDS (Verband Sonderpädagogik) wird übrigens mit den selben Kandidatinnen und Kandidaten eine ähnliche Veranstaltung zum Thema „Inklusion braucht Professionalität“ am Dienstag, den 28.5.13 um 18.00 Uhr in Frankfurt (Saalbau Gutleut, Rottweiler Straße 32) anbieten – eine weitere Möglichkeit, sich über die Vorstellungen der Parteien zu informieren bzw. sich ein eigenes Bild zu machen.