Hessischer Demokratietag - Ein Demokratieerlebnis?

Aber reicht das? Heißt Demokratie, dass die immer Gleichen ihre Vorstellungen zum Besten geben?

In der Ankündigung war zu lesen. „Mit diesem Demokratietag wollen wir der Vereinfachung politischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit entgegenwirken und u.a. in Workshops Mechanismen der Einflüsse durch Medien aufzeigen und Strategien zur Stärkung der Demokratie entwickeln. Der 10. Hessische Demokratietag findet in diesem Jahr an einem symbolträchtigen Ort, nämlich dem Hessischen Landtag statt. Diese Gelegenheit wird genutzt, um sowohl mit Politikern als auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Jugendorganisationen der politischen Parteien ins Gespräch zu kommen.“

Um es vorwegzunehmen: Der Markt der Möglichkeiten war klasse, hier konnten sich viele Initiativen präsentieren und die Chance nutzen, sich den jungen Demokratieinteressierten vorzustellen. Produktiv und wichtig waren auch die Workshops, die im Wesentlichen von den Initiativen geleitet wurden.

Deutlich übergewichtet war aber der Teil der Veranstaltung, in dem gestandene Politiker*innen den überwiegend jungen Menschen die von ihnen gestaltete Demokratie für gut befanden. Kritik tauschten die Politiker*innen im Wesentlichen nur untereinander aus. Das junge Publikum war zum Teil überfordert mit den Botschaften des Kultusministers Prof. Dr. Alexander Lorz zum Auftakt der Veranstaltung, einer Podiumsdiskussion mit Grüner Jugend, Jungen Liberalen, Jungsozialisten, Junger Union und 10 Politiker*innen von 5 Parteien im sog. Speed-Dating. Zu groß das Gefälle, um rhetorisch und politisch-inhaltlich mit Fragen die Routiniers aus der Reserve zu locken und echte Kontroversität zu ermöglichen.

Für die anderen Mitveranstalter gab es wenig Raum. Sie hatten die Funktion und Aufgabe für die Parteienvertreter*innen die Moderation beim sog. Speed Dating zu übernehmen, ohne dass die Möglichkeit bestand, zu den aufgerufenen Fragen eine eigene Position an prominenter Stelle - beispielsweise in der Podiumsdiskussion - zu vertreten.

Die Fragen, die der Demokratietag aufwarf, waren durchaus spannend. Schade, aber auch nachvollziehbar, dass die Vertreter des Staates und der Parteien im Wesentlichen einen institutionellen Blick auf die Fragen warfen. Stehen sie doch genau für die Strukturen, die es möglicherweise zu kritisieren gilt. Für alle Parteienvertreter*innen stand fest: es gibt doch Gremien der Mitbestimmung; die Möglichkeit, sich in den Parteien zu engagieren, als Gewerkschafter*in mitzureden; als Schülervertreter*in seine Meinung zu äußern. Ja, dies gibt es alles. Aber wie wirkungsmächtig ist dies; wie abhängig von dem persönlichen Engagement; wie mühsam letztendlich. Selbstredend waren es die Parteien, die in Hessen gerade nicht regieren, diejenigen, die auf die unzureichende Ausstattung der institutionalisierten Gremien mit Rechten hinwiesen.

Aber reicht das? Heißt Demokratie, dass die immer Gleichen ihre Vorstellungen zum Besten geben?

Ein Demokratietag, der diesen Namen verdient, wäre ein Tag gewesen, an dem die Parteien und die Vertreter aus dem Ministerien mal auf die Zuhörerbank gehören und diejenigen, die mühsam versuchen, demokratischen Rechte von unten durchzusetzen, auf den Podien von ihren Problemen hätten reden können. Also das Ganze mal andersrum.

Was also am Tag selbst nicht gelang, sei nun auf diesem Weg versucht: Schlagworte, die die GEW als Antworten auf die gestellten Fragen in die Diskussion geworfen hätte.
Frageblock 1: Wirkliche Demokratie in der Schule ist kaum möglich, Schülervertretungen haben keine ersthaften Mitwirkungsrechte, ganz zu schweigen vom Mitbestimmungsrechten. Ein Einfluss auf Lehrpläne, Lehrer- und Fächerwahl oder das Schulleitungshandeln ist durch Schüler*innen kaum möglich. Auch die Rechte der Lehrer sind beschnitten. Sie können auf die Schulorganisation, die Unterrichtsinhalte und die Schulleitung nur mäßig Einfluss nehmen. Zentral ist hier, dass zudem keine Zeit da ist. Überbelastung im Lehrberuf hemmt die Demokratie in der Schule. Teilhabe und Demokratie benötigen Zeit!

Frageblock 2: Warum sind Kinder- und Menschrechte für das Zusammenleben so wichtig? Weil die Rechte geronnen Konsens darstellen, eine historisch gewachsene Übereinkunft zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen sind. Kinder – und Menschrechte benennen die Grundlage des Zusammenlebens auf die sich die Gesellschaft geeinigt hat. Sie erleichtern das Zusammenleben und setzen klare Grenzen für einen nicht zu unterschreitenden Konsens. Kinder- und Menschenrechte dürfen nicht erstarren, sondern sollten mit der Veränderung der Gesellschaft veränderbar sein.

Frageblock 3: Kann uns die Demokratie abhandenkommen? Ja. die Demokratie ist die einzige Staatform, die gelernt werden muss – sie kann uns abhandenkommen. Es gibt eine riesige Lücke zwischen dem Anspruch der Schule, Demokratieerziehung zu leisten und der Realität. Hier werden eher Anpassungsleistungen erwartet. Inhaltlich kann uns die Demokratie abhandenkommen: weil der Austausch über unterschiedlichen Positionen als Streit diffamiert wird; weil nicht anerkannt wird, dass es unterschiedliche Interessen gibt; weil unterstellt wird, dass es Wahres und Falsches gibt und es in der Politik nur um das Erkennen das Wahren und Falschen geht und nicht um eine zuweilen konflikthaften Interessenausgleich; weil unter der Hülle der formaldemokratischen Strukturen ein verfestigtes Herrschaftssystem liegt. Die Demokratie kann uns formal abhandenkommen: Weil alle nur darüber reden, keiner aber Demokratie lebt, Demokratie nur noch ein Edikt für Vieles ist; die Zeit für Demokratie nicht mehr aufgebracht wird, sondern Führung als effizient angesehen wird und Parlamente als Schwatzbuden.

Frageblock 4: Die Demokratie stärken können wir durch einen Demokratieschub auf allen gesellschaftlichen Ebenen; in der Schule Mitbestimmung von Schülern und Lehrern, in den Betrieben, in den Verwaltungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, in den Kitas, und überall, wo Menschen die Bedingungen ihres Zusammenwirkens beeinflussen wollen und sollen.

Dr. Manon Tuckfeld

Mitglied des Kreisvorsitzendenteams