Es war einmal eine Landesregierung...

Rede von Manon Tuckfeld (Kreisvorstand) zum 1. Mai (Kranzplatz Wiesbaden)

Es war einmal eine Landesregierung, die nicht zählen konnte.

Sie konnte nicht bis 3 zählen:
Denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass Neugeborene spätestens nach 3 Jahren einen Anspruch haben, in die Kita zu gehen

Sie konnte nicht bis 6 zählen:
Denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass aus Neugeborenen mit gewisser Regelmäßigkeit Grundschülerinnen und -schüler werden  

Sie konnte nicht bis 70 zählen: 
denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass mit 70 Millionen Euro Grundschullehrkräfte endlich die A13 erhalten könnten und damit endlich wie alle anderen Lehrkräfte bezahlt werden würden. 

Sie konnte nicht bis 80 zählen: 
denn sonst wäre ihr aufgefallen, dass sie mit 80 Millionen, die in der Kasse sind, Arbeitszeitverkürzungen und mehr Entlastungen für Lehrerinnen und Lehrer hätte umsetzen können.

Sie konnte natürlich auch nicht bis 100 zählen, 
dann sonst wäre ihr aufgefallen, dass dieses Geld für Kita-Qualität hätte verwendet werden können.

Last but noch least, konnte sie erst recht nicht bis 500 zählen, 
denn dann wäre ihr aufgegangen, dass 500 Millionen Euro die Mittel sind, die für das Sofortprogramm für Bildung dringend gebraucht werden.

Aber warum kann die Landesregierung nicht zählen?

Sie denkt, sie hat es nicht nötig.

Warum sollen im Bildungsland Deutschland 
gut gebildete Menschen leben? 

Für die Masse ist dieser Anspruch übertrieben! Oder?

Ein paar Privat- und Eliteschulen reichen doch, oder?

Der Rest muss nur funktionieren – das ist praktisch.

Und wie er funktioniert.

Ronald Lutz[i]schreibt dazu „Im modernen Kapitalismus zeigen sich zwei Grundprinzipien: Wachstum und Beschleunigung. Es gibt nicht nur immer mehr, sondern vieles auch immer schneller“ und er führt dann unter Verweis auf Hartmut Rosa aus: „Subjekte wachen auf aus Sorge, nicht mehr mitzukommen, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, die Aufgabenlast nicht mehr bewältigen zu können, abgehängt zu werden – oder in der erdrückenden Gewissheit (etwa als Arbeitslose oder Ausbildungsabbrecher) bereits abgehängt zu sein." (Rosa 2009, 118) und er schlussfolgert dann: „[M]an ist müde selbst zu sein und unterwirft sich letztlich den verfügbaren Mustern des Sich-Einrichtens.“

Ich will hinzufügen – auch wenn dies zynisch ist – hoffentlichin die verfügbaren Muster des Sich – Einrichtens. 

Ich denke, dass es ist nicht zu weit hergeholt ist, die These aufzustellen, dass sich erschöpfte und dauerüberforderte Menschen mit ihrer letzten Kraft auch zur Wehr setzen und dann in alte Muster verfallen.

In Muster wo Antikapitalismus und Führerkult zusammenfallen, wo Menschen die Anpassungsleistung an die Moderne sich nicht mehr selbst abverlangen, nicht mehr selbst die Herausforderung – wie es im Neu-Sprech so gern heißt – meistern, sondern sich dem Druck ergeben und nur noch folgen wollen.

So fern die Dinge manchmal liegen, 
so nah liegen sie eben manchmal auch.

Menschen, die erschöpft sind, 
streiten nicht mehr, sondern funktionieren.

Menschen, die erschöpft sind, 
interessieren sich nicht mehr für andere Menschen, sondern erledigen ihr Leistungspensum.

Menschen, die erschöpft sind, 
gestalten im Gemeinwesen nichts. Sie gehen weder auf die 1.Mai Kundgebungen noch zu den Gewerkschaften oder in die Politik.

 

Das ist doch praktisch: 
dann kann die herrschende Politik weiter machen wie bisher. 

Also warum zählen können -
und im ersten Schritt 3500 Erzieherinnen und Erzieher einstellen?
Also warum zählen können -
und mittelbare pädagogische Arbeitszeit personalwirksam anrechnen?
Also warum zählen können -
und die 585 Millionen Euro aus der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehung in ein Sofortprogramm für Bildung stecken?
Also warum zählen können -
um Arbeitszeitverkürzung und bessere Löhne zu finanzieren?

 

Darauf gibt es nur eine Antwort:

Weil wir es wollen!

 

Wir werden uns nicht mehr mit Phrasen wie der Life-Work-Balance, der notwendigen tariflichen Bescheidenheit, der „Es-ist-kein-Geld-da- Erzählung“, abfinden.

Wir fordern hier und jetzt Millionen für gute Bildung.

Weil wir es wert sind.

Und zum guten Schluss noch eines:

wartet nicht solange, 

nicht solange, bis wir aufhören arbeitsverdichtet zu arbeiten und uns die glücklichen Kinderaugen allein nicht mehr zufriedenstellen und wir wieder darauf achten, nach Feierabend Zeit zu haben. Fürs Feiern, aber auch für die politischen Auseinandersetzungen mit einer Landesregierung, die nicht rechnen kann, aber wiedergewählt werden will.

Wir werden es zu verhindern wissen.