Ein Kommentar

"Starke Schule - starkes Handwerk, Schulpolitische Herausforderungen aus Sicht des hessischen Handwerks, 6. November 2008"

"Hessens Handwerk ist Hessens größtes Unternehmen und Hessens größter Ausbilder", behauptet es und ist sehr stolz darauf. Probleme bereitet ihm allerdings die Ausbildungsunfähigkeit der Jugendlichen. Aus seiner Sicht schaffen viele Jugendliche den Übergang in eine berufliche Erstausbildung nicht, weil sie dazu „nicht bereit, nicht geeignet, nicht motiviert und nicht fähig“ seien. Dies wundert das Handwerk nicht, bringen die Schulen ihren Schülern doch nicht mal Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen, Schreiben und gutes Benehmen bei. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandortes Hessen und soll nicht länger hingenommen werden.

„Chancengerechtigkeit durch Bildung und ein Wertewandel sind für die hessische Wirtschaft die höchsten Güter“, rufen sie. Es sei höchste Zeit für eine Qualitätsoffensive mit dem Ziel, dem hessischen Handwerk im Bundesländervergleich eine Spitzenposition einzubringen - und nicht etwa, könnte man vermuten, allen Jugendlichen das Recht auf eine Erstausbildung zu ermöglichen und dieses dann auch gesetzlich zu verankern.

Um die Probleme mit den Schulabgängern zu lösen, stellen sie sechs "zentrale schulpolitische Handlungsfelder" auf. 

Zum Ersten: "Frühe Bildung stärken"

Auf den Anfang kommt es an. Kein Kind darf verloren gehen. Das soll mit einem "Bildungs- und Erziehungsplan" unter Einbindung der Eltern und sonstigen Beteiligten geschehen. Schade eigentlich, dass hier nicht weiter gedacht wird. Denn vielen Kindern, die in die Kindertagesstätten kommen, fehlen schon jetzt wichtige "Kompetenzen", wie z.B. Zuhören können und die Selbstständigkeit bei Hygiene und Essen. Das Elternhaus hat es ihnen nicht beigebracht. Für ein gesundes Familienleben ist immer weniger Zeit und Geld da. Die Wirtschaft selbst fördert den Verfall der so hochgelobten Werte, indem sie über ihre Medien die Jugendlichen tagtäglich unter permanenten Kaufzwang setzt. Alles schnell kaufen, verbrauchen und wegwerfen sind die modernen Ideale. Soziales Bewusstsein und Gemeinsinn sind out. Diese "gesellschaftliche Erziehung" den Eltern in die Schuhe zu schieben, ist schäbig. Die Sozialschmarotzer sitzen, wie inzwischen jedes Kind weiß, ganz oben in der Gesellschaft.

Zum Zweiten: "Integration fördern"

Jetzt müsse dem Fachkräftemangel mit der Förderung der ausländischen Jugendlichen begegnet werden. Denn, so weissagen die Handwerksvertreter, der Kompetenzunterschied zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sei in Deutschland besonders auffällig. Sinnentnehmendes Lesen ist offenbar auch in Handwerkerkreisen nicht unbedingt üblich, denn die unterschiedlichen Bildungschancen entspringen nicht einem Migrationshintergrund, sondern der sozialen Herkunft aus so genannten bildungsfernen Schichten. Diese Chancenungleichheit beklagen alle Bildungsberichte der OECD schon seit Jahrzehnten. Dort kann man lesen, dass dies ursächlich mit unserem gegliederten Schulsystem zusammenhängt, weil Kinder aus sozial schwächeren Schichten in die Haupt- und Sonderschulen abgeschoben werden können. Das kann man auch im "Sozialbericht der Stadt Wiesbaden" nachlesen.

Zum Dritten: "Schulen in die Eigenverantwortlichkeit entlassen"

Langsam kommt der Verdacht auf, dass der Handwerkertag von CDU-Schulprogrammen hat abschreiben lassen. Die als Lösung der Misere angepriesene "Eigenverantwortung" oder "Selbstverantwortung" von Schule heißt im Schulalltag nichts anderes als unbezahlte Mehrarbeit, insbesondere für Verwaltungsaufgaben und damit weniger Zeit für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler. Scheitern Schulen an dieser "Eigenverantwortung", werden sie geschlossen oder privatisiert. Das kommt den Staat billiger, den Schülerinnen und Schülern teuer.

Zum Vierten: "Qualität durch Bildungsstandards und Kerncurricula sichern"

Allerorten werden so genannte Bildungsstandards gebastelt, früher hieß das Lernziele. Diese Standards sollen ein durchschnittliches Kompetenzniveau beschreiben und durch zentrale Aufgabenstellungen und Testverfahren abgefragt werden. Man lässt sich vom Irrglauben leiten, dass durch „vieles Wiegen die Sau schon fetter werde“ und die Jugendlichen durch viele gleichgeschaltete, zentrale Tests ihre Ausbildungsreife erlangen.

Zum Fünften: "Vielfalt der Bildungsabschlüsse erhalten, Hauptschule stärken"

Die Behauptung des Handwerkstages, dass "internationale Schulvergleichsstudien nach PISA 2000 keine entscheidenden Argumente wider das gegliederte Schulwesen" liefern, zeigt die ideologische Borniertheit und Leseschwäche der hessischen Wirtschaft. Das Gegenteil ist der Fall. Ungleichheit der Bildungschancen macht sich in Deutschland am gegliederten Schulwesen fest. Mit ihren Vorstellungen von Strukturveränderung meint das hessische Handwerk nicht etwa das gegliederte Schulwesen abzuschaffen. Nein, es will diese "Vielfalt der Bildungsangebote" erhalten, damit sie sich die Sahne abschöpfen kann. Deshalb zeigt man vehementen Einsatz für den Erhalt der Hauptschule, die keiner mehr anwählt, weil sie keinem Kind eine Zukunftsperspektive bietet und daher zu Recht „Restschule“ und „Auslaufmodell“ genannt wird. Für diese Ideologen ist die Menschheit eben viergeteilt. Fehlt nur noch, dass sie behaupten, es gäbe auch "Hauptschul-Staaten" aus denen bekanntermaßen die Migrantinnen und Migranten kämen.

Zum Sechsten: "Berufsorientierung und ökonomische Bildung vertiefen" 

Dies ist die letzte "zentrale schulpolitische Herausforderung" des Handwerks. Nichts ist gegen eine Berufsorientierung und eine grundlegende ökonomische Bildung einzuwenden, soll doch eine ökonomische Bildung dazu führen, ein Wirtschaftsmodell zu erkennen und so nicht zu dessen Opfer zu werden. Es gibt auf dieser Welt unterschiedliche Wirtschaftsmodelle. Die Marktwirtschaft ist jedenfalls nicht im Grundgesetz festgeschrieben. "Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nachdem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche" (BVG Urteil vom 01.03.1979 zum Mitbestimmungsgesetz).

Im Grunde ist eine höhere Qualifizierung der Jugendlichen einfach zu bewerkstelligen: Es muss viel mehr Geld in die Bildung investieren werden für kleine Lerngruppen und gezielte Förderung jedes einzelnen Kindes. Wer von heute auf morgen die Pleite einer Bank mit einer 26,5 Milliarden-Bürgerschaft aus Steuergeldern abwenden kann, sollte auch das Geld haben, um in die Zukunftsaufgabe Bildung zu investieren.

Das hessische Handwerk will stattdessen den Schulen zur Unterrichtsgestaltung seine Meisterinnen und Meister zur Verfügung stellen. Wir nehmen das dankend zur Kenntnis und rufen den Gewerken zu: "Schuster bleib bei deinen Leisten!"

Starke Schule – starkes Handwerk