Bundeswehr an die Schulen?

Aus der WLZ:

 

Meinen Sie, dass die Bundeswehr an die Schulen geht, um Soldaten zu werben? Weit gefehlt - meint das Kultusministerium in Hessen und schließt einen Vertrag! Die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Hessischen Kultusministerium und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr vom 4.11.2010 ermöglicht, dass Jungendoffiziere an hessische Schulen kommen dürfen. 

Was sie da machen sollen? Auf jeden Fall keine Nachwuchswerbung, so die Vereinbarung. Was sollen sie aber dann machen? Als externe Referenten Schülerinnen in der S I und II, also Schülerinnen ab ca. 10 Jahren, „transparente und nachvollziehbare Informationen zur globalen Krisenverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen“ vermitteln.

Wer sich jetzt fragt, ob Jugendoffiziere keine Soldaten sind und deswegen unterschiedliche Einstellungen zu Fragen der globalen Krisenbewältigung und zu nationalen Interessen einnehmen dürfen, erhält folgende Antwort: „Jugendoffiziere (…) JdgOffz nehmen – unter Beachtung der Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses – Stellung zu militärischen und sicherheitspolitischen Grundsatzfragen im Sinne der offiziellen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands sowie zu den Einsätzen der Bundeswehr. (…) JdgOffz betreiben keine Personalwerbung oder Personalgewinnung. Interessierte an einer Tätigkeit in der Bundeswehr sind an die zuständigen Karriereberater bzw. Karriereberaterinnen zu verweisen. (…) JgdOffz erläutern vor allem in Schulen den Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr und die Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik, dabei insbesondere die Einbindung Deutschlands in die NATO und die Entwicklung der Gemeinsamen Sicherheits-und Verteidigungspolitik in Europa.“

Schon diese Aufgabenzuweisung macht deutlich, Jugendoffiziere sind keine neutralen Experten, nehmen keinen pluralen, sondern den jeweiligen Standpunkt der Regierung ein. Sie sind Partei. Zu Recht sieht die Kooperationsvereinbarung deswegen vor, dass die Schule „die Verantwortung für die sachgerechte Information, die Vermittlung pluraler Standpunkte“ trägt, die zudem auch noch an die Lehrpläne anzubinden ist. Dies unterstreicht die Vereinbarung, indem festgehalten wird: „Die Selbstständigkeit der Schulen in der Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit Jugendoffizieren sowie in der Wahl der geeigneten Veranstaltungsformen“.

Erstes Fazit: Keine Schule muss der Bundeswehr wegen der Kooperationsvereinbarung die Tür öffnen. Es liegt in der Verantwortung der Schulen, ob und in welcher Form die Bundeswehr eingeladen wird.

Auch wenn Sicherheitspolitik ein wesentlicher Bestandteil des Unterrichts in der Jahrgangsstufe 13 ist, ist dies in der Regel nicht der Grund, warum Schulen Jugendoffiziere einladen. Es sind die subventionierten Ausflüge nach Bonn oder Berlin, Wien und Brüssel, die die Schule dazu bewegen, solche Angebote anzunehmen. Hier organisiert jemand die Fahrt und die Kosten sind zudem in der Regel subventioniert. Es ist das Rundum-Sorglos-Paket für Lehrer. Der kleine Beigeschmack ist, dass die Bundeswehr an solche Ausflüge und Events sicherheitspolitische Vorträge hängt, die sich dann Schüler*innen anhören müssen. Im unterrichtlichen Alltag bleibt dann wenig Zeit, den parteilich agierenden Jugendoffizieren das friedenspolitische Pendant entgegenzusetzen, um den pluralen Ausgleich zu schaffen. Auch ist die Friedensbewegung nicht mit einem so üppigen Werbe- und Öffentlichkeitsarbeitsetat ausgestattet wie die Bundeswehr. Würden zum Beispiel die Kosten für externe Referenten mit friedenspolitischem Blick durch das Land Hessen bezahlt, spräche längst nicht so viel gegen die Auftritte der Bundeswehr.

Halten wir fest: Schulen wählen Angebote. Halten wir auch fest: Eltern können für ihre Kinder Ersatzunterricht beantragen, wenn Bundeswehrsoldaten in die Klasse kommen und die Eltern dies nicht wünschen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Schule den Schülern überhaupt mitteilt, dass ein Jugendoffizier in die Schule kommt oder dass das Angebot, nach Bonn oder Berlin zu fahren, durch die Bundeswehr gesponsert ist. Hierzu bedarf es der Sensibilisierung wie auch des kritischen Austausches in den Schulen. Und dies obwohl Minderjährige einen besonderen Schutz genießen sollten. Als Unterzeichner der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle hat sich die Bundesrepublik Deutschland zum besonderen Schutz des Wohls von Kindern und Jugendlichen verpflichtet. Dies kollidiert laut Ansicht des „UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes“ mit der aktuellen Rekrutierungspraxis der Bundeswehr.

Zweites Fazit: Schüler, Eltern und Lehrer können sich in Lehrer- und Schulkonferenzen und über die Schüler- und Elternbeiräte gegen Auftritte der Bundeswehr in Schule und Unterricht aussprechen. Eltern können persönlich entscheiden, dass ihre Kinder solche Vorträge nicht hören müssen, und Ersatzunterricht beantragen.

Wiewohl die Kooperationsvereinbarung nicht vorsieht, dass die Bundeswehr werbend und mit Werbematerialien an den Schulen präsent sein darf, ist sie dies: Mit Bundeswehr-Collegeblöcken, die in Lehrerzimmern liegen; mit Einladungen zu Seminaren, die sich über die Lehrer direkt an Schüler*innen richten; mit Plakaten, die für den Wert eines soldatischen Kameraden werben und das Ganze mit der Bemerkung abrunden: Mach, was wirklich zählt.

Dass sich die Bundeswehr so auf Schulen und Schüler fokussiert, liegt an der Aussetzung der Wehrplicht und der Notwendigkeit aktiver Rekrutierung. Dass dies gelingt, liegt an der Öffnung der Türen für Soldaten durch so etwas wie die Kooperationsvereinbarung. Die Anwesenheit von Soldaten wird normal, ist ja erlaubt. Wer liest schon genau nach und wer unterscheidet, ob der junge Offizier nun als (parteilicher) Experte oder als Werbender in Sachen Bundeswehr durch die Schulen läuft? Jugendoffiziere haben Türöffnerfunktion. Angebote der Bundeswehr sollen dies unterstützen.

Erlaubt oder nicht? Anlässlich der Kontaktaufnahmen zu Schulen und Lehrkräften über die Young-Leaders-Akademie (YL) in Kooperation mit der Bundeswehr wurde von der Schulamtsleitung des Staatlichen Schulamtes Wiesbaden/Rheingau-Taunus am 22.2.2017 eine Verfügung herausgegeben, die sich mit der Frage befasst, ob solche Angebote erlaubt sind, und die gleichsam vorgibt, welchen Umgang die Aufsichtsbehörde wünscht.

Gleich zu Beginn der Verfügung wird festgestellt, dass Informationen der Bundeswehr keine Werbung seien, da diese nicht im Sinne von § 10 Abs. 2 der Dienstordnung geschäftlich, seien. Aber ist etwas deswegen keine Werbung, nur weil damit keine gewerblichen Zwecke verfolgt werden? 

Die von der Schulamtsleitung in Bezug genommene Dienstordnung wird auf Erlassebene präzisiert. Im Erlass vom November 2016 wird die Verteilung von Werbematerial generell verboten. Was meinte also die Schulamtsleitung mit ihrem ausschließlichen Verweis auf die Dienstordnung? Wir wissen es nicht. Eine Antwort aber ist jetzt schon möglich. Welche Schulleitung schaut schon in den Erlass vom November 2016, wenn die Schulamtsleitung unter Bezug auf die Dienstordnung in ihrer Verfügung den Schulleitungen den Satz an die Hand gibt, dass Materialien der Bundeswehr grundsätzlich keine Werbung seien (da nicht gewerblich).

In der gleichen Verfügung vertritt die Schulamtsleitung die Auffassung, dass auch Hinweise auf Seminare oder Akademien der Bundeswehr und der sie unterstützenden Young Leaders GmbH keine Werbung seien, wenn und soweit sie der Studienvorbereitung dienten. Hier dürfen dann Lehrer*innen prüfen, ob das Angebot für die Studienvorbereitung oder vielleicht die berufliche Karriere nützlich ist. Nach welchen Kriterien eigentlich?

Ist in der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Hessen und der Bundeswehr noch festgelegt, das Bildungsangebote der Bundeswehr Schulleiter*innen über das Amtsblatt oder einen Newsletter zu erreichen haben, klärt die Amtsleitung durch die Verfügung, dass Angebote der Bundeswehr und Angebote der in diesem Bereich unterstützenden Young-Leaders-Akademie - die ja immerhin der Anlass für die Rundverfügung vom 22.2.17 war - über die Schulleitungen zu gehen haben. Diese Informationen können dann in geeigneten Konferenzen mit den Lehrkräften besprochen werden. Dies erscheint weniger strikt, als die Kooperationsvereinbarung es vorsieht. Gibt es eine andere rechtliche Lage? Oder ändert sich der Vertriebskanal für solche Angebote, wenn auf der Packung Young Leaders und nicht Bundeswehr steht?

Am Ende des Tages kann festgestellt werden: alles schön kompliziert und das durchaus mit Methode. Durch die Lücken von Verordnung und Erlassen, die schwer zu lesen sind und in ihrer Anwendung Spielräume eröffnen, quellen die Bundeswehr und das mit ihr kooperierende Unternehmen Young Leaders. Der Kampf um neue Soldaten ist es ihnen wert.

Wenn die Landesregierung es anders wollte, wäre es sehr einfach. Sie müsste von der Politik des privilegierten Zugangs der Bundeswehr in die Schulen abrücken. Und so wird das Ungesagte Realität. Der neue Einsatzort der Bundeswehr ist die Schule. Wer das nicht will, muss ganz genau hinschauen und die Rechtslage kennen. Denn würden alle Vereinbarungen, Dienstordnungen, Erlasse und Rundverfügungen genau gelesen und in enger Anlehnung an die Regelung angewandt, wäre die Bundeswehr weder mit Werbung noch mit Fun- und Adventureangeboten, sondern nur auf Einladung und mit thematischer Begleitung durch Politiklehrer in den Schulen vertreten. Realiter aber breitet sich in Schulen das Denken aus: Bundeswehr ist doch o.k., ist doch Parlamentsarmee, ist doch durch die Kooperationsvereinbarung gedeckt (siehe oben). Das ist doch keine Werbung (siehe oben), ist doch für eine gute Sache (siehe oben, Fortbildung, Fortkommen), vertritt doch unsere Land, bietet doch berufliche Perspektiven.

Drittes Fazit: Die differenzierte und im Kern unübersichtliche Rechtslage ermöglicht den werbenden, faktisch rekrutierenden Zugang der Bundeswehr in die Schule. Hier muss Klarheit geschaffen werden. Ansonsten muss davon ausgegangen werden, dass die Landesregierung die werbende Rekrutierung durch die Bundeswehr an Schulen will.

Junge Menschen können kaum ermessen, wie es wirklich als Soldat ist. Dennoch treten jährlich über 1.000 Minderjährige in die Bundeswehr ein. Damit ist Deutschland eines von wenigen Ländern weltweit, das Minderjährige in seine Armee aufnimmt. Beenden wir die gezielte Werbung von Kindern und Jugendlichen für die Bundeswehr!

Schule muss ein Ort des differenzierten Nachdenkens über die Welt sein. 

Hier können die unterschiedlichsten Quellen, Zeitzeugen, Lobbyisten, Parteien und andere Gruppen durchaus ihren Beitrag leisten, indem sie unverfälscht und ungebremst die Position vertreten, für die sie nun mal stehen. Kein Ministerium würde aber diesen Vertretern einen privilegierten Zugang zur Schule schaffen, sondern davon ausgehen, dass es in der Verantwortung der Schule liegt, solche Beiträge plural zu kontextualisieren.

Warum wird also für die Bundeswehr ein Sonderrecht geschaffen?

(Dieser beitrag wurde ursprünglich und vollständig mit Fußnoten in der WLZ 2, 2017 veröffentlicht)

Anhang:

Präsentation von Tony Schwarz: Die Eroberung der Köpfe