Alles muss verwertbar und effizient sein

Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Wiesbaden am 15.09. 2011

Jochen Nagel (LV Hessen) hielt auf der Veranstaltung eine Rede, die einige  brisante Themen der hessischen Bildungspolitik ins Visier nahm:

Sparmaßnahmen im Schulsektor: 

Bildungspolitiker reden gern von Sachzwängen, wenn es um Ausgabenkürzungen im Schulsektor geht. Nagel wies darauf hin, dass diese Zwänge  nicht vom Himmel gefallen seien, sondern dass sie von den Verantwortlichen schließlich selbst geschaffen wurden. "Wenn der Kern des Denkens im Bildungsbereich mehr und mehr betriebswirschaftliche Kategorien zugrunde legt, muss sich letztendlich alles rechen. Alles muss verwertbar und effizient sein. Jugendliche Schulabsolventen sind dabei nur dann interessant für den Verwertungsprozess, wenn sie zur Profitsteigerung in irgendeiner Form beitragen können. Investitionen in Schule rechnen sich  auf dieser Gedankengrundlage nur, wenn sich der Output volkswirtschaftlich auch lohnt. Etablieren sich solche gewinnorientierten Modelle der Erziehung und Ausbildung, ist es zum bewussten Wegdrängen der leistungsschwächeren Schüler aus dem System ins Randgruppendasein wegen mangelnder Effizienz nur noch ein kleiner Schritt: Die mit Zähnen und Klauen in der BRD  verteidigte Dreigliedrigkeit des Schulsystems dient ja bereits in vorbildlicher Weise der zwanghaften Aufrechtrechterhaltung der Separation. In einem solcherart gespaltenem Schulsystem kann es auch keine echte und ernstgemeinte Inklusion geben."

Jochen Nagel betonte nochmals die Forderung der GEW: Eine Schule für alle und keine Verweigerung der UN-Menschenrechtskonvention (Recht auf Bildung) durch den Bildungsapparat der BRD selbst!

Folgen der Schuldenbremse:

Seit Jahren stagniert die Lehrerbesoldung in Hessen. Eine Übertragung von erstrittenen Tarifergebnissen in vergleichbaren Bereichen wird nur durch Druck durch die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer selbst (Streik*) geschehen.

Gelder für die Betreuung und Ausbildung der Referendare wurden gekürzt. Außerdem müssen sich eine nennenswerte Anzahl der Examinierten mit einem für das Land Hessen kostengünstigen befristeten Arbeitsvertrag begnügen. Zügige Einstellungsverfahren werden vom Land als zu teuer abgelehnt, was als weiteres Übel die Fächerproblematik verschärft: Junglehrer mit Mangelfächern (Naturwissenschaften vorzugsweise!) warten nicht lange, nehmen  Arbeitsplätze in der Industrie an und gehen den Schulen des Landes verloren.

Am 1. November gibt es dazu eine Demo, nämlich  die Demo der Jungen, die längst eingestellt sein könnten!

Zusammenlegung der Schulämter aus Kostengründen: 

Auch diejenigen, die die sogenannte Verschlankung (lean production ist ein Schlagwort aus der Ökonomie) der Bürokratie bejubeln werden, werden bald die Folgen verwundert feststellen: Schulstandortnahe Schulämter sind notwendig als Gesamtstruktur, die die regionalen Zusammenhänge und Besonderheiten kennen müssen um die Versorgung auch pädagogisch angemessen im Auge zu haben. (Der vorausschauende Max Weber stellte vor einem knappen Jahrhundert bereits fest: ,,Bürokratisierung ist eine notwendige Voraussetzung von Demokratie, ansonsten verkommt der öffentliche Sektor.’’ (vergl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 641 ff, Nachdruck Tübingen 1972; Anmerkung: B. L.)

Steuerpolitik: 

Schaut man sich die Steuerpolitik der letzen Jahre an, sind die Vorteilnehmer eindeutig: Betriebe und Gutverdiener. Würde man diese (neoliberal orientierte) Vorteilslage rückgängig machen, könnte mehr Geld in die Staatskassen und damit auch in alle Bildungseinrichtungen fließen.

*Streikrecht:

Seit 35 Jahren kämpfte die hessische GEW für ein Streikrecht für beamtete Lehrer/innen; jetzt wurde in Kassel das Urteil gefällt: Streikrecht ohne wenn und aber !

Ein großer Erfolg für den Hessischen Landesverband der GEW: Er ist bis jetzt der einzige Flächenlandesverband, der das durchgesetzt hat! "Der Fortschritt ist halt manchmal eine richtige Schnecke". Die Landesregierung wird natürlich in Revision gehen.

Und was tun wir? Wenn wir’s haben, nehmen wir es uns dann auch? Daran wird die GEW arbeiten müssen.

Neue Hessische Dienstordnung:

Hier wird ein hierarchisch gegliedertes Dienstwesen angestrebt. Resolutionen aus den Schulen haben zumindest bewirkt, dass in der jetzigen Form nicht durchkommen wird.

Wir danken Jochen Nagel für seinen  informativen und perspektivischen Vortrag.