2000 Bewerber bleiben ohne Einstellungsangebot

Lehrerausbildung – eine langwierige Baustelle

Als mit der Verabschiedung des Lehrerbildungsgesetzes am 29. November 2004 die Referendarausbildung modularisiert und auf Kompetenzen und Standards umgestellt wurde, wunderten sich viele Kolleginnen an den Schulen sehr. Zunächst herrschte Irritation ob der Kürzel, die dem üblichen Gebrauch widersprachen: Da bedeutete DFB nicht mehr Deutscher Fußballbund, sondern verwies auf das Modul „Diagnostizieren, Fördern, Beurteilen“; bei MuM dachte man im Rheingau und in Wiesbaden spontan an ein Gläschen Sekt, musste aber lernen, dass damit das Modul „Methoden und Medien“ gemeint war. Die Referendarinnen und Referendare hießen nun in geschlechtsgerechter Sprache „die LiV“, was aber nicht davor schützte, dass man bei einer männlichen angehenden Lehrkraft auch häufig von „dem LiV“ sprach. Aber die Gewöhnung an diese Kürzel war der leichteste Teil der Herausforderung, die das neue Lehrerbildungsgesetz (HLbG) und seine Umsetzungsverordnung (UVO) von den Mentorinnen, Mentoren sowie allen mit der Unterstützung der gestressten LiV beschäftigten sonstigen Lehrkräften darstellten. Viel gewöhnungsbedürftiger war, dass die angehende Lehrkraft in der halbjährigen Einführungsphase kaum an der Schule war, da sie fünf Module absolvieren musste. Dennoch brauchte sie Lerngruppen, da sie zwei bis drei bewertete Unterrichtsbesuche absolvieren musste. 

Wenn mit vereinten Kräften pflegeleichte Lerngruppen gefunden waren, in welchen die hoffnungsvollen Jungpädagoginnen nach zwei bis vier Stunden Unterricht ihre Lehrprobe absolvieren sollten, beschäftigte man sich in den Lehrerzimmern mit der bangen Frage: „Was will die Fachleiterin?“ Die LiV berichtete, dass die Stunde unter „EBB-Kriterien“ (Modul „Erziehen, Beraten, Betreuen“) oder unter „MuM-Gesichtspunkten“ beurteilt würde. Aber wie sah eine Stunde mit EBB-Kriterien aus? So sehr MentorInnen bemüht waren, dem Schützling zu helfen, so fiel die Antwort schwer. Konnte man in der speziell unter Vorzeigegesichtspunkten ausgewählten Lerngruppe überhaupt zeigen, wie man mit schwierigen Schülerinnen umging? Gab es überhaupt Klassen, die in Gegenwart von Fachleiterin, Schulleiterin und hauptamtlich unterrichtender Lehrerin ihre Erziehungsbedürftigkeit unter Beweis stellten? Musste im UB beim Modul MuM unbedingt der Computersaal aufgesucht oder Gruppenpuzzle durchgeführt werden? Neue Fragen kamen in den weiteren Semestern dazu: Wie sieht eine Stunde in DFB aus? Darf das eine „normale“ Stunde im Fach sein oder müssen unbedingt Übungen zum „dialogischen Lesen“ oder „lautem Denken“ stattfinden? Die LiV behauptete, einen Förderkreislauf nach Fritz Zaugg zeigen zu müssen. Wer war dieser Zaugg? Ein neuer Missionar, ähnlich bedeutend wie einige Jahre vorher Klippert? Und wie war es möglich, in einer Stunde einen Förderprozess zu zeigen, wo man doch aus Erfahrung wusste, dass man Geduld und einen langem Atem beim Fördern brauchte? Die Quadratur des Kreises waren dann die sogenannte „gekoppelten Unterrichtsbesuche“, zu welchen Fachdidaktik-Ausbilderinnen und solche aus den allgemeinpädagogischen Modulen anreisten. Da verlangte nach Aussagen der Junglehrerin die Fachdidaktikerin, dass problemorientiertes und vertiefendes Lernen praktiziert werden solle; die DFB-Ausbilderin hingegen wollte individuelle Förderung der Lesekompetenz erleben. Den Schülerinnen dagegen brannte die nächste Klassenarbeit auf den Nägeln oder sie wollten die Ergebnisse der Lernkontrolle zurück haben oder sie interessierte am Thema etwas anderes als die Übungen zur Leseförderung. Der Stresspegel stieg vor jedem UB, dabei hatten die LiV in EBB doch gelernt, dass man unter Stress nichts lerne, aber das hatte wohl nichts mit der eigenen Ausbildung zu tun. 

Inklusive Teilnahme an der oft länglichen Unterrichtsbesprechung – schließlich waren ja zwei Fachleiterinnen bei gekoppelten Besuchen angereist – kostete das Event „Unterrichtsbesuch“ LiV und Mentorin gut und gern mehrere Tage Arbeit und Psychoenergie. 

Und nicht zu vergessen das Modul “SME“! In diesem Modul lernten die LiV, wie man Schule mitgestaltet und entwickelt. Da musste ein Projekt durchgeführt werden, dass die Schule weiterbringen sollte. Dieses Modul geriet in Misskredit, weil es die Referendarinnen häufig überforderte und weil Vorhaben angezettelt wurden, die aus der Sicht vieler Kolleginnen schlicht nicht nötig waren. 

Und trotz aller Arbeit und Mühen waren Schulleitung und Mentorinnen an der Bewertung der „LiV“ nicht beteiligt! 

Wenn sich der Aufwand wenigstens gelohnt hätte! Bestanden vor den Zeiten der modularisierten Ausbildung ca. 1-2 % der angehenden Lehrkräfte das zweite Staatsexamen nicht, so waren es jetzt ca. 10%!

Wären da nicht die Kolleginnen vom Seminar gewesen, die z.B. als „Portfoliobetreuerinnen“ – was sollte dieser Begriff nun schon wieder?! – an den Schulen für einige Aufklärung hinsichtlich der Mysterien der modularisierten Ausbildung sorgten, wäre die Distanz zwischen Schule und dem „Unterstützungssystem“ Ausbildung immer größer geworden. 

Klagen drangen zuhauf bis zu Kultusministerin Wolf, die sich jedoch unerbittlich zeigte. Mehr Einsehen hatte dann Frau Henzler, die einen neuen Gesetzesentwurf erarbeiten ließ. Am 10. Juni 2011 verabschiedete der Hessische Landtag das novellierte Lehrerbildungsgesetz; die Umsetzungs- oder Durchführungsverordnung ist Ende September noch nicht veröffentlicht, obwohl am 01.11. 2011 die neu eingestellten LiV auf der Basis der neuen Rechtsgrundlage ausgebildet werden sollen.

Ein Blick nach vorn – mit gebremster Hoffnung 

Das neue Lehrerbildungsgesetz bringt für die LiV etliche Verbesserungen. Zwar wird in der nunmehr auf 21 Monate gekürzten Ausbildung die modularisierte Struktur beibehalten – und damit der Nachteil ständiger Bewertung am Ende der Module. Positiv zu sehen ist jedoch, dass die die dreimonatige Einführungsphase unbewertet bleibt. Die LiV müssen künftig nur noch acht Module absolvieren und mindestens drei unbewertete Ausbildungsveranstaltungen. Besonders die Tatsache, dass das arbeitsintensive Modul „SME“ durch eine nicht bewertete Ausbildungsveranstaltung „MSS“ („Mitgestalten der selbstständigen Schule“) ersetzt wurde, dürfte als Erleichterung empfunden werden. Die Schule gewinnt wieder Einfluss auf die Bewertung der LIV durch das Schulleitergutachten (HLbG § 42, Abs. 1), das 10% der Vornote ausmacht. Auch dürfen die LiV künftig eine „Person ihres Vertrauens“ in die Prüfung mitnehmen, „die an der Prüfung und an den Beratungen des Prüfungsausschusses mit beratender Stimme teilnimmt“ (HLbG § 44 Abs. 5).

An diesen Verbesserungen hat die GEW großen Anteil, hat sie doch durch Resolutionen, Landesvorstandsbeschlüsse, das Engagement ihrer an Ausbildung interessierten Mitglieder sowie durch Gespräche mit den politisch Verantwortlichen auf die Verbesserung der Ausbildung und die Rückführung der monströsen Wucherungen der Modularisierung gedrängt. 

Welche Probleme bringen das neue HLbG und die ausstehende Verordnung?

Das Gewicht der am Examenstag erbrachten Leistungen ist von einem Drittel auf 40 % der Bewertung erhöht worden. Dadurch erhält der Examenstag ein unverhältnismäßig hohes Gewicht. Darauf haben GEW und Hauptpersonalrat in ihrer Stellungnahme hingewiesen, konnten sich aber nicht durchsetzen. 

Gefahren für die Qualität der Ausbildung drohen aufgrund der Sparmaßnahmen. Im Haushalt für 2012 ist die Streichung von 1000 LiV- Stellen und 150 Ausbilderstellen vorgesehen. Es steht zu befürchten, dass auch die Ressourcen für die Ausbildung der LiV gekürzt werden, so dass vor allem die individuelle Lernprozessbegleitung durch die Ausbilderinnen nicht mehr möglich sein wird. Entweder werden Mentorinnen und andere Kolleginnen in den Schulen beratende und organisatorische Aufgaben zusätzlich übernehmen oder die LiV werden allein gelassen mit ihren Fragen und Problemen. Ärgerlich ist diese Kürzung vor dem Hintergrund, dass die Ministerin den Mentorinnen Entlastungsstunden versprochen hatte. 

So fällt die Einschätzung der künftigen Situation der Ausbildung nach der Novellierung von HLbG-UVO ambivalent aus. Die Rechtslage hat sich zum Positiven verändert; der Mangel an Ressourcen wird die Qualität der Ausbildung beeinträchtigen. Frust und Enttäuschung wird sich bei Mentorinnen verbreiten, da ihre aufwändige Arbeit nicht honoriert wird. 

Und der größte Skandal ist, dass zum 01.11. von über 3600 Bewerbungen ins Referendariat über 2000 Bewerber ohne Einstellungsangebot bleiben und ihre Berufsausbildung derzeit nicht beenden können!